Wir Ausgebrannten
demütigend empfanden, dass ihnen eine langsame Verarmung in Paraguay weniger furchterregend vorkam. Als durch Reisen in fernere Länder halbwegs vorgebildeter Fernsehzuschauer saß man mit verschränkten Armen im Fernsehsessel, weil man zu ahnen glaubte, wie die Mechanismen des Scheiterns in der Dokumentation offenbar würden: Ein Mann hat es in Deutschland nicht geschafft, den Anforderungen seines Büros gerecht zu werden, weil er sich vom dort herrschenden Zwang und der Überbeanspruchung gedemütigt fühlte. Leider aber gehören ein gewisser beruflicher Zwang, Leistungsdruck und die damit verbundenen Disziplinierungen seitens der Chefs auch in anderen Ländern zur Arbeitswelt. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wer in Deutschland ausbrennt und mit letztem Glühen nach Vancouver fährt, um dort vom Geist der Freiheit angefacht zu werden, wird elend verglimmen, weil er den gleichen Ärger auch dort vorfindet.
Nur wenige haben es geschafft. Ein Mann mit starkem norddeutschen Akzent hat sich ohne Sprachkenntnisse nach Amerika aufgemacht und ist dort ohne große innere Verrenkungen zu einer Art Cowboy geworden. Nachfolgende Dokumentationen über ihn zeigen einen einfachen, aber fröhlichen Endvierziger, der mit Schusswaffen hantiert und Glück und Wohlstand in der Rinderzucht gefunden hat.
Das wahre Aussteigertum ist in Deutschland eher eine Ausnahme, vornehmlich eine Sensation, weniger eine Alternative. Die realistische Fluchtkulturtechnik ist das Sabbatical. Beim Sabbatical handelt es sich um eine Abmachung des Ausgebrannten mit seinem Arbeitgeber, für eine Weile dem Betrieb fernzubleiben zugunsten eines sinnvollen Projekts. Das kann der Plan für ein Buch über Burnout sein, es kann aber auch die schöne Entscheidung bedeuten, mithilfe einer mehrmonatigen Sprachschulung Kultur und Geheimnis eines Landes, für das man immer Sympathie empfand, näher zu ergründen. Man kann aber auch in ein Kloster gehen. Viele ausgebrannte Prominente gehen in Klöster, wo sie aber, wie man hört, weniger Exerzitien machen, als einfach nur den klösterlichen Rückzug, die krasse Entweltlichung genießen. Es ist ein interessantes Phänomen unserer sinnentfremdeten Zeit, dass wir im Erschöpfungszustand ausgerechnet die Orte aufsuchen, an denen über Jahrhunderte hinfort Sinnstiftung bis dorthinaus betrieben wurde, dass wir aber mit der Sinnstiftung eher nicht belästigt werden möchten, sondern nur ungestört und unerreichbar sein wollen. Auch auf dem Jakobspilgerweg werden die wenigsten von religiöser Verzückung heimgesucht, sondern erleben dort, wie gesagt, das gemeinschaftliche Gefühl der Ehrlichkeit und der Offenheit. Und das reicht ihnen im Allgemeinen aus.
Im Sabbatical können wir uns innerhalb einer mit dem Arbeitgeber ausgehandelten Frist besinnen. Wir können uns fragen, ob wir, nachdem wir Französisch und danach vielleicht noch Griechisch gelernt haben, wirklich wieder in unseren elenden BlackBerry-Job zurückkehren möchten, oder ob wir aus der Sabbatical-Erfahrung eine Tugend machen und sagen: Ich kann jetzt Griechisch und Französisch und mache einen Feinkosthandel auf, der Produkte dieser beiden auf den ersten Blick unvereinbaren Kulinarkulturen anbietet.
Seltsam ist es schon, dass eine Gesellschaft, die so frei ist wie unsere, ihre Mitglieder so freiheitsdurstig zurücklässt. Eigentlich hätten wir alle Möglichkeiten, uns so zu entfalten, wie wir es möchten. Keine Mauer umschließt unser Land und unsere gesellschaftlichen Bindungen sind, nun ja: unverbindlich. Trotzdem wagen es nur wenige, ihr Leben zu ändern, wie Rilke es in seinem Gedicht Archa ï scher Torso Apollos gefordert hat. Stattdessen schauen wir uns Geschichten von Menschen an, die das versucht haben. Und die gescheitert sind, was uns auch wieder irgendwie beruhigt.
SINN UND SELBSTZWEIFEL
Natürlich ist es in unserer an Identifikationsangeboten reichen Gesellschaft nicht mehr so einfach, unverwechselbar zu sein. Den wenigsten Menschen gelingt es wahrscheinlich, sich in ihren Berufen dergestalt zu verwirklichen, dass sie das Gefühl haben, sie arbeiteten nicht für eine Firma, einen Chef, ein Produkt, sondern für eine Idee, die im Idealfall ihre eigene Idee ist oder zumindest eine, mit der sie sich in höherem Maß identifizieren können. Das ist insofern ein Dilemma, als dass wir, wie gesagt, immer narzisstischer geworden sind. Wir wollen doch bitte einerseits aufgehen in unserer Arbeit, unseren Beziehungen und dafür auch noch
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