Wir Ausgebrannten
Account abgemeldet haben, sind wir plötzlich wieder diese Zwitterwesen aus Held und Opfer: Wir haben dem täglichen Re:Re:Re:-Wahn ein Schnippchen geschlagen, aber um den Preis, dass wir nun isoliert sind und uns neu definieren müssen. Aber wie sollen wir das tun, schließlich haben wir bis zum Ausloggen keine Alternative zu unserem Highperformer-Dasein gesehen, warum sollte uns das nun, da es funkstill ist, gelingen? Es ist eine Lücke entstanden, die wir eigentlich mit Sinn füllen müssen. Aber Sinn steht uns leider nicht so selbstverständlich zur Verfügung wie das Internet und E-Mails. Der kommunikative Raum, aus dem wir Online-Eskapisten entfliehen, war bis dato unsere zuverlässigste Sinn-Vorratskammer, und das klingt schlimmer und armseliger, als es ist. Denn grundsätzlich kann es nicht von Übel sein, wenn man täglich Mails an Leute schreibt und von diesen auch Mails zurückbekommt. Und manchmal sind ja durchaus Inhalte dabei, aus denen wir ein bisschen Lebenssinn ziehen können. Beispielsweise wenn wir uns mit den Kollegen, die vier Etagen unter uns sitzen, schreiben, satirische Bilder aus dem stern . online verschicken oder lustige Pannen-Videos aus YouTube. Oder wenn wir uns per Mail zum Essen verabreden, dem kommunikativen Höhepunkt jedes Arbeitstages.
Einer der Gründe für unsere ständige Überforderung mag auch darin liegen, dass wir glauben, wir könnten dieser Überforderung dann entfliehen, wenn wir uns komplett zurückziehen. Hätten wir nicht eine tägliche Dosis Gegengift zu unserem Burnout, wenn wir abends nach dem Dienst mit einem Kollegen ein Bier trinken gehen würden, uns ein bisschen ausquatschen würden, gesellig wären? Hätten wir nicht größere Chancen, unserer gefühlten Sinnleere zu entgehen, wenn wir den Sinn dort suchten, wo er sich am liebsten aufhält: im Zusammenspiel mit anderen Menschen?
Stattdessen nehmen wir die autismusfördernden Angebote der Ausstiegsindustrie entgegen. Wir buchen ein Wochenende in einem Wellnesshotel, einem auf den Prinzipien Konvention und Konditionierung gründenden künstlichen Paradies, in dem wir schwitzen und Anwendungen probieren, die uns zu wohlriechenden Wochenend-Menschen machen, aber unsere Leere sicher nicht auffüllen. Die Industrie lauert wie eine grinsende Schlange auf unsere Versuche, dem täglichen Kollaps zu entgehen. Badezusätze tragen augenzwinkernd bis Trost verheißend Namen wie Auszeit, Balance, Zeit für dich, Lebensfreude und – an sarkastischer Selbstrefenzialität kaum zu überbieten – Seelentröster. Die Industrie hat ein gutes Gespür für die Abgründe in unseren Herzen. Sie macht ihr Geschäft mit unserer Pein, aber das ist natürlich keine besonders neue Erkenntnis. Neu und ungewöhnlich ist vielleicht das Feld, auf dem es stattfindet. Weil wir Lebensfreude und Trost nicht mehr im Leben finden können, haben wir jetzt zumindest die Möglichkeit, darin zu baden. Wir haben unsere, wie der Philosoph Rüdiger Safranski es nennt, »Sinnressourcen erschöpft« und müssen jetzt etwas haben, was »Sinn macht«. Dass man Sinn nicht produzieren, sondern nur empfangen kann, ist ja bekannt und soll, warum auch nicht, von Experten erklärt werden.
DIE GROSSE AUSSTEIGERITIS
Vermutlich hat es ganz leise angefangen mit einem dieser sonderbaren Bücher des brasilianischen Erweckungsschriftsteller Paulo Coelho. Es handelte sich seinerzeit um die Schilderung einer Pilgerreise auf dem Sankt-Jakobsweg und es war damit die Aufforderung an die Leser verbunden, ebenfalls auf diesem sagen-, legenden-, und sinnstiftungsumwobenen Weg zu wandern. Die Popularität der Jakobspilgerschaft begann schon einige Jahre vor der Burnout-Kultur, aber sie erreichte ihren Höhepunkt vor sechs oder sieben Jahren, als die Idee, einfach abzuhauen, diese spätromantische, fremdenlegionärshafte Lust, die Sicherheiten der Zivilisation linker Hand hinter sich zu lassen, große Feste feierte. Der Unterhaltungskünstler Hape Kerkeling setzte wahrscheinlich den ersten Meilenstein auf die lange Straße in Richtung Abhauerillo. Ich bin dann mal weg heißt sein Bericht von der Pilgerschaft nach Santiago de Compostela, und er verkaufte sich millionenfach. Schon der Titeltorso »Ich bin dann mal …« erlebte bald darauf variantenreiche Nachahmung: Ich bin dann mal schlank, Ich bin dann mal schwul, Ich bin dann mal schwanger. Ich bin dann mal off verkündete der Journalist Christoph Koch und legte das stolze Protokoll seines Urlaubs vom Internet vor.
Unser
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