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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilmar Klute
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Lebensglück wird zu einem großen Teil auf unsere innere Leinwand projiziert. Wir arbeiten unter extremen Bedingungen, wir führen unser Privatleben unter extremen Bedingungen, und genauso extrem wünschen wir uns die Auszeit aus all diesen Zwängen. Die Erholungsreise, drei Wochen Riviera, reicht uns heute längst nicht mehr aus. Es muss so etwas wie die Ahnung von einem anderen Leben her. Wenn wir mal weg sind, tun wir so, als seien wir so ganz nonchalant mal eben weg, weil wir es uns verdient haben. Aber die Lässigkeit von Kerkelings Titel haben die wenigsten Aussteigefantasten. Die Aussteigerei ist inzwischen selbst zu einer großen Anstrengung geworden, und vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch der Wunsch auszusteigen als Krankheitsdiagnose beschrieben wird und eigens dafür Aussteigerkliniken am Chiemsee eröffnen.
    Wer aussteigt, steigt nicht aus, um sich ein bisschen zu erholen, also nichts zu tun, in den Himmel zu starren oder wie Oblomow, der große Held in Iwan Gontscharows pünktlich zur Burnout-Debatte neu übersetzten großen Roman, einfach nur das gute Leben zu genießen, zu essen und zu faulenzen, als gäbe es kein Morgen. Für die Burnouter auf Pilgertour gibt es jedoch ein Morgen, das macht sie auch so unentspannt dabei. Es gibt ein Morgen, aber es gibt für die wenigsten eine haltbare Utopie, und sei es nur in Gestalt einer Religion oder einer anderen spirituellen Hilfsstrategie. Wer auf dem Jakobspilgerweg wandert, befindet sich nicht auf den Spuren der alten christlichen Pilger, die Augustinus gelesen haben und glücklich sind, wenn sie das Grab des Apostels Jakob gefunden haben. Er befindet sich auf den Spuren der anderen Manager, Investmentberater und Studienräte, die nicht mehr weiterkönnen und deshalb laufen müssen, weil sie Kerkeling und Coelho gelesen haben. Diese Menschen glauben, eine Ahnung vom glücklichen Leben gewinnen zu können, indem sie in schlecht gelüfteten Gemeinschaftsräumen abgewirtschafteter Herbergen dünnen Wein trinken und anderen Gestressten ihre Leiden erzählen. Eine promiske Gesellschaft von Ausgebrannten wünscht sich neu zu beseelen, indem sie alle Bequemlichkeit des Alltags über Bord wirft respektive als restriktiv verachtet. Vermutlich steckt der mittelalterliche Gedanke der Flagellation, der Reinwaschung per Selbstkasteiung hinter derartigen Vorstellungen. Vielleicht hilft es manchen ja wirklich, eine neue Lebensperspektive zu gewinnen, aber die müsste dann ja grundsätzlich im Wandern, Innehalten, Sichöffnen und gemeinschaftlichen Wäschewaschen bestehen – alles Kulturtechniken, die sich vermutlich nur mit sehr wenigen Firmenphilosophien vereinbaren lassen.
    Denn es haben ja nur die wenigsten Ausgebrannten den Mut, ihr Leben länger als eine therapeutische Einheit lang zu verändern. Wenn einem die Arbeit nichts mehr sagt oder nur noch Befehle zum Leistungserweis erteilt, dann sollte man doch eigentlich die ganze Chose drangeben, auf gesellschaftliche Anerkennung verzichten, und sich vollständig der Verfeinerung der Sinne, der Ausbalancierung der Seele und der Beständigkeit des Wohlempfindens widmen. Natürlich gibt es auch Männer und Frauen, die aus der für sie unerträglich gewordenen Welt der Leistung und der Demütigung durch ständige Verfügbarkeit und bürokratische Gängelung gänzlich aussteigen. Es handelt sich um solche Leute, die glauben, in einem sehr fernen Land auf Umstände zu stoßen, die mit den Quälereien in deutschen Firmen nichts zu tun haben. Die – zumeist rasch an der Wirklichkeit zerschellende – Vorstellung von einem Laisser-faire liegt solchen Entscheidungen zugrunde, Illusionen von einem Easy Going, das der Deutsche nicht kenne, dem dafür aber der Kanadier, der Italiener, Spanier oder Texaner wie nichts sonst verpflichtet sei. Das Privatfernsehen lenkte sein Interesse vor nicht allzu langer Zeit verstärkt auf die Darstellung von Lebenswegen enttäuschter deutscher Menschen, die sich kurzerhand entschlossen hatten, ihr Land zu verlassen, weil es ihnen aufgrund der Schwierigkeiten, die sie dort hatten, verhasst war. Die Kamera und mit ihr der Fernsehzuschauer fand diese Leute dann in einem schönen fernen Land wieder, wo sie wiederum in einem zähen Ringen um Arbeit und Sozialstatus standen. Es klappte dort einfach nicht, so sehr sie sich bemühten, Arbeit zu finden. Aber zurück wollten die wenigsten, weil sie die Erfahrungen, die sie als arbeitende Menschen in Deutschland gemacht hatten, als so

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