Wir Ausgebrannten
doch geworden bin! Wie konnte es nur so weit kommen mit mir? Und in dem grünen Tee ist wirklich ein Stück ungespritzter Ingwer drin? Danke für alles! Die Idee, dass man, um Stress abzubauen, auch gleich seine ganze Persönlichkeit mit reduzieren muss, ist einer der abenteuerlichen Gedanken der Burnout-Therapie. Warum glaubt man, dass Medienconsulter, die einen Esel gebürstet haben, später besser auf sich achtgeben werden? Es ist vermutlich die Sehnsucht danach, sich von den Malaisen der Zivilisation insgesamt zu verabschieden, und nicht nur von dem Teil, der einem das Leben schwer gemacht hat. Wer einmal groß und einflussreich im Beruf war, sehnt sich danach, klein und wirkungslos zu werden. Es gibt tausend Therapien und Atmungstechniken, wie man den Schmerz der Überforderung wegbekommt. Aber wie man zu einer grundsätzlich souveränen Lebenshaltung kommt, kann uns im Zeitalter der Therapien und Diagnosen keiner sagen.
DIE GROSSE ZUKUNFTSMÜDIGKEIT
Wozu sollen wir uns eigentlich abrackern? Wir wissen doch, dass wir in eine Zukunft hineinarbeiten, in welche wir unseren Lebensstandard vermutlich nicht einmal teilweise retten können. Wir schauen in Nachbarländer, deren Gesellschaften unseren zwar nicht in jedem Fall gleich, aber doch sehr ähnlich sind. In Griechenland erleben wir den Verfall von Wohlstand und gutem Leben im Zeitraffer. Wer dieser Tage durch die Straßen Athens geht, mag denken, er sei in einem fast vollständig prekarisierten System angekommen, an den Rändern der Großstadt sieht es aus wie in einer osteuropäischen Metropole der 70er-Jahre, wie in Bukarest oder Sofia. Dabei beschleicht uns das klamme Gefühl, dass es uns in einigen Jahren, vielleicht auch erst in einigen Jahrzehnten, genauso ergehen könnte. Ähnlich wie die Griechen haben wir viel zu komplizierte Verwaltungen, ein viel zu vertracktes Steuersystem und sind verschuldet. Was noch funktioniert, sind unsere Exportgeschäfte und das damit verbundene Wachstum. Aber eine Garantie auf dauerhafte Prosperität haben wir nicht, und das wissen wir auch.
Aber während wir unsere Angst in Kopfschmerzen, Prokrastination und Tinnitus ableiten, sehen wir, wie andere Länder ihre Angst in Wut und Aktion ummünzen. Griechenland ist das erste europäische Land mit wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Total-Burnout. Aber die Reaktionen sind brennende Plätze, eingeworfene Schaufensterscheiben und ein spektakulärer Selbstmord auf dem Verfassungsplatz mitten in der Athener Innenstadt. Wir sehen das mit Sorge, mit Abscheu und Entsetzen. Denn uns ist auch bewusst, dass der Untergang unseres westlichen Kapitalismus auch den Untergang unserer zivilisatorischen Errungenschaften mitbedingen kann. Wir sehen, dass es tatsächlich einmal passieren könnte, dass man seine Bankkarte in einen Automatenschlitz schiebt, und es kommt kein Geld heraus. Dass man in einen Supermarkt geht und eine bestimmte Biersorte nicht vorfindet. Man findet sie auch am nächsten und übernächsten Tag nicht vor, und selbst in der Woche darauf bleibt die Stelle im Regal leer. Auch die Butter ist nicht gekommen, ein paar Joghurtsorten wurden ebenfalls aus dem Bestell-Sortiment genommen. Wo ist da die Gerechtigkeit?, mögen wir uns fragen, wenn wir einmal ganz besonders metaphysisch gestimmt sind: Wir arbeiten Tag und Nacht am Kapitalismus, wir stehen Stunde für Stunde einem Dienstleister zur Verfügung, wir entwerfen Programme und Konzepte und ahnen, dass wir all dies angesichts einer Zukunft tun, die für viele von uns Deklassierung, für einige sogar den großen Abstieg bedeutet. Dieser Abstieg findet, so kommt es uns vor, ohne unser Zutun und ohne unsere Einflussnahme statt. Also ist er ungerecht und auf Ungerechtigkeiten reagieren wir Deutschen nur in Leserbriefen und Internet-Blogs wütend. Im Leben verfallen wir in Angst und Resignation.
Geschichten von Menschen, die ganz oben waren und nun ganz unten sind, gehören zum erzählerischen Repertoire unserer Gesellschaft. Uns sind die Opfer näher als die Gewinner, weil wir meinen, einer Zukunft entgegenzublicken, in der uns lediglich ein Grundstock an Lebensqualität gewährleistet wird, in der wir uns also auch eher als Verlierer wiederfinden. Manche dieser Opfergeschichten kommen uns tröstlich vor, andere interpretieren wir als Sieg des Menschen über das elende System, wie zum Beispiel der als Erfolgsgeschichte verkaufte Niedergang des ehemaligen Frankfurter Bankers Thomas Brauße, der auf dem Höhepunkt der
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