Wir Ausgebrannten
der dortigen Gemälde mal ansehen, was die Menschen vor 500 Jahren gefürchtet haben. Die Krankheit? Warum sollten sie sich vor ihr fürchten? Sie hatten sie bereits und wenn nicht, war sie zuverlässig im Anmarsch in Gestalt von Pest, Cholera oder Syphilis. Den Tod? Brauchten sie nicht zu fürchten, denn er war stets gegenwärtig. Nein, damals bangten die Menschen vor dem, was hinterher kommt – die Hölle, wie sie Rubens gemalt hat – fette, vollgefressene, kurz: sündige Leiber, die in eine dunkle Tiefe stürzen und dortselbst von ekelhaften Monstern verspeist werden. Das Burnout kam erst nach dem Tod, in der Hölle, und es war kein Warnsignal, sondern klare Urteilsvollstreckung. Vorher machte man seine Arbeit, pflanzte sich fort und sah zu, dass man alles möglichst glatt über die Bühne brachte. Das Leben hatte eine Kurve, und wenn die zu Ende beschrieben war, konnte man seine Sachen packen und gehen. Der seinerzeit große, heute vergessene Barockdichter Paul Fleming schrieb sich in seine eigene Grabinschrift die Worte: »Was bin ich viel besorgt, den Othem auffzugeben? An mir ist minder nichts, das lebet, als mein Leben.« Also eigentlich nichts, um das man großes Gewese machen müsste. Natürlich empfanden die Menschen früherer Jahrhunderte auch Trauer, Angst, Wut, Überforderung – wie auch nicht, bitte schön. Schließlich haben ein paar religiös durchgeknallte Staatenlenker einen 30 Jahre dauernden Krieg angezettelt, bei dem alles dem Erdboden gleichgemacht wurde, was die Menschen als Grundlagen ihrer Existenz ansahen. Aber das nur nebenbei.
Heute führen viele von uns den Dreißigjährigen Krieg gegen sich selbst. Und wenn sie merken, dass sie auf ihrem inneren Schlachtfeld nicht mehr weiterkommen, weil sie sich mit ihrer Seele aufs Schmerzhafte verzahnt haben, müssen die Mediatoren her. Wir leben im Zeitalter der Mediation. Wenn die Diagnose Burnout lautet, muss ein unabhängiger Mensch an uns herantreten, der unsere verfeindeten Ich-Welten wieder miteinander versöhnt. Das Arbeits-Ich mit dem empfindsamen Leiden-Ich. »Kommt, vertragt euch wieder«, sagt der Mediator. »Ich führe euch beide erst einmal auf neutrales Gebiet. Das kann eine sündhaft teure Burnout-Klinik am Chiemsee sein, wo es für jedes einzelne Ich ein Handtuch mit einer bestimmten Farbe gibt, das kann sogar ein Bauernhof in Schleswig-Holstein sein, wo ihr staunend feststellen werdet, dass es auch Lebensformen gibt, die keinen eigenen E-Mail-Account unterhalten und nicht auf Facebook sind, weil es sich bei ihnen um Schweine, Pferde und Ziegen handelt.« Wobei es mittlerweile auch Haustiere geben soll, die in sozialen Netzwerken angemeldet sind. Da wir schon einmal bei dem Thema sind: Die Kunde, dass auch Tiere ein Burnout erleiden können, erreichte uns kurz nach der Verleihung der Oscars in Hollywood. Damals musste der durch den Film The Artist bekannt und beliebt gewordene Jack-Russell-Hund Uggy aus dem aktiven Filmgeschäft gezogen werden, weil er Symptome des Burnouts zeigte.
Die Gesundheitsindustrie setzt auf unsere komplette Verblödung und rechnet mit unserer kulturellen Verkrüppelung. Erwachsene Menschen sollen in Tierfelle fassen, um zu spüren, wie sich die Natur anfühlt. Manager und Consulting-Chefs werden angehalten, mit rostigen Hollandrädern unkultivierte Feldwege entlangzufahren, um endlich mal zu spüren, wie der Ackergrund beschaffen ist. Die Therapiekultur will, dass wir unsere zivilisatorischen Fertigkeiten vergessen und stattdessen wieder zu kleinen Kindern retardieren, die durch Fühlen und Riechen an die Welt gewöhnt werden.
Wer angesichts seiner kommunikativen Übersteuerung einen Kurzschluss erleidet, ist naturgemäß ein geschwächter Mensch. Und die Geier der Gesundheitsindustrie stürzen sich auf ihn: Mach dich klein, sei wieder ein Kind, sei ein Mensch, der nicht mehr vernetzt ist, sondern über die Spinne und ihre wunderbare Netzfertigungskunst staunt: Hast du vergessen, wie frisch ein Brot riecht? Weißt du eigentlich noch, wie sich nasses Gras anfühlt, wenn du mit nackten Füßen darübergehst?
Ja, jeder weiß das noch, und für manche ist die Erinnerung an nasses Gras schön, andere verbinden einfach nur nasse und kalte Füße damit. Aber wenn man es als Wiedererfahrungsdiktat aufgebrummt bekommt, ist es zwangsläufig mit dem Gefühl der Scham verbunden. Ach Gott, das habe ich alles vergessen? Wie ein Pferd tritt und ein Schwein rülpst? Was für ein zivilisationsverkommener Idiot ich
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