Wir Ausgebrannten
Finanzkrise seinen hoch bezahlten Job verlor und daraufhin auf dem Gelände des Bankenviertels eine Würstchenbude mit dem ironischen Namen »Frankfurter Worschtbörse« eröffnete. Die Möglichkeit, all die Techniken des Erfolgs über Bord zu werfen, sehen wir als letzten Trumpf. Aber in Wirklichkeit ist der ehemalige Banker, der jetzt eine Würstchenbude betreibt, eine Ikone des Absturzes, heiter verkleidet als Unbeugsamer, der aus der Not eine Tugend gemacht hat. Wer einmal einen Haufen Geld verdient hat und auf diesem Reichtum seinen Lebensstil gegründet hat, wird nicht in der unverschuldeten Bescheidenheit glücklich. Solche modernen Märchen lehren allerhöchstens, dass wir uns – sei es mit oder ohne Ironie – von den Sicherheiten eines festen Einkommens verabschieden müssen.
»Was ist in unseren Gesellschaften schiefgegangen, dass sie vom Übermut in die Depression abgleiten, während der Rest der Welt in die Geschichte zurückkehrt, sich auflehnt und mit großer Geschwindigkeit entwickelt?« So fragt der französische Schriftsteller und Philosoph Pascal Bruckner in einem Aufsatz. Nein, Revolutionen sind eher Sache derer, die jahrzehntelang ungeübt waren in der Kritik am Staat und seinem Gewaltmonopol. Nur wenige Menschen gehen in Deutschland auf die Straße, um gegen die Allmacht der Banken zu kämpfen. Gegen die schleichende Prekarisierung hält niemand ein Transparent hoch, Deklassierung mag man sich nicht eingestehen. Und wenn sie doch eingetreten ist, gibt man sich den Anschein, lässig genug zu sein, eine andere berufliche Identität angenommen zu haben, und sei es die des Würstchenbraters. Das Prinzip der Herabstufung ist uns mittlerweile ein wohlvertrautes Alltagsphänomen. Ratingagenturen zeigen wöchentlich, wer nicht mehr in der Lage ist zu zahlen oder wer demnächst nicht mehr dazu in der Lage sein wird.
Während in anderen Ländern die Plätze brennen, brennen wir aus. Wir sehen in Marokko, Tunesien, Ägypten und Syrien, wie Völker, deren Lebensbedingungen so viel schlechter sind als unsere, die Kraft aufwenden, ihre blutigen Herrscher zu stürzen oder zumindest so wirkungsvoll gegen diese vorzugehen, dass sie in der Welt geächtet werden. Wir haben gehört, dass die Empörung eine gute Haltung ist. Dass es wichtig ist für eine aufgeklärte Gesellschaft, sich den Gesetzen der Banken nicht zu beugen, sondern die Freiheit des Einzelnen zum Maßstab von politischem und gesellschaftlichem Denken zu machen. Das hat uns kein junger flammender Revolutionär gepredigt, sondern ein sehr gelassener Mann von 93 Jahren, nein, nicht Helmut Schmidt ist gemeint, auf den wir immer hören, weil seine Zigarette nicht ausbrennt und weil er uns eine Illusion vom nicht reglementierten Leben schenkt. Nein, es war der französische Diplomat und Schriftsteller St é phane Hessel, der in einer schmalen Broschüre, die innerhalb weniger Wochen ein Millionenpublikum fand, die größten Selbstverständlichkeiten des aufgeklärten Zeitalters unterbreitet hat – und es war für alle eine Sensation: Empört euch! , hieß sein Pamphlet, das gerne als Katechismus der Wutbürger bezeichnet, damit aber gründlich missverstanden wird. Denn Hessel sagt nicht, dass man sich der Zukunft und ihren Herausforderungen verschließen soll, dass man den Kleinmut des Hier und Jetzt pflegen soll, die wütend-ängstliche Besitzstandswahrung der Gartenzaun-Spießer. Hessels Empörung richtet sich gegen unsere Unachtsamkeit im Umgang mit den Errungenschaften der Aufklärung. Schaut hin, wenn euch andere das Heft des Handelns aus der Hand nehmen, wenn Finanzpolitik nur noch Finanzgebaren ist und nicht mehr dem Wohlergehen eines Volkes dient. Und wenn Regierende Geschäfte auf dem Rücken ihres eigenen Volkes machen, dann soll der aufgeklärte Bürger sagen: So nicht. Wut und Empörung sind das Gegengift für die Lethargie und die Resignation. Was sie nicht sein dürfen: Freibriefe zur Durchsetzung zukunftsfeindlicher Affekte. Es geht um Ideen, nicht um die Idiosynkrasien selbstgefälliger Bürger. Um den Mut zur Selbstverantwortung, nicht um den Kleinmut.
Der Kleinmut und die mit ihm einhergehende Furcht vor der Zukunft sind Größen, die sich inzwischen wie Mehltau auf viele Teile der Gesellschaft gelegt haben. Wir möchten offenbar nicht nur, dass die Gegenwart so bleibt, wie sie ist und wie wir sie gewohnt sind, sondern auch, dass die Zukunft gemütlich und überschaubar bleibt. Und wenn sich irgendwelche Tüftler und Planer
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