Wir Ausgebrannten
wäre wieder ein Markt, der weniger Leser an sich binden würde.
Wenn Dürftigkeit und Mangel Einzug halten, formieren sich diejenigen zu neuer Stärke, die diesen Mangel vergrößern wollen, statt ihn zu beheben. Gerade im Ruhrgebiet, der Burnout-Area unserer Republik, war das Bedürfnis, die Härten des Lebens mit Kunst zu verfeinern, besonders groß. Dass in einer Arbeiterstadt wie Bochum nach dem Krieg eine Shakespeare-Gesellschaft gegründet wurde, kann nur derjenige seltsam finden, der glaubt, dass Arbeiter sich nur wohlfühlen, wenn sie Staub und Dreck um sich haben und abends eine Flasche Bier öffnen können. Kunst sei für Menschen mit Bildung da, glauben diejenigen, die sich für gebildet halten.
Es gibt in unserem Land einen unangenehmen Hang, Menschen die freie Wahl abzunehmen. Wer bestimmt denn, ob Kultur im Überfluss da ist oder nur gerade in dem Maße, wie sie gebraucht wird? Der Gedanke ist schon sonderbar, dass es Menschen gibt, die gewissermaßen als Krisenbeauftragte durchs Land stromern und in vorauseilendem Gehorsam alles auflisten, was man noch wegrationalisieren könnte. Dieser Hang, selbst im Mangel noch Wege zu suchen, wie man den Mangel vergrößern kann – ist das deutsch oder nur dumm? Wenn etwas wegbricht, dann reißen wir noch daran, dass es schneller umfällt.
DIE WEGSCHIEBER
Hier zwischen Essen und Castrop-Rauxel verzagt auf dem ehemaligen Zechengelände lungernd, erinnern wir uns noch einmal an das Basisrezept für das geläufige Burnout: arbeiten bis in die Freizeit hinein, und am Ende ausgebrannt zu sein und reif für die Therapie oder die große Entschlackung von Körper und Seele in der Bodenseeklinik. Was aber würdet ihr lieben Ausgebrannten sagen, wenn ihr überhaupt keine Arbeit mehr hättet? Wenn euch nicht jeden Morgen die 60 ungeöffneten E-Mails anstarrten, nicht jeden Mittag der Filofax um die Ohren flöge, nicht jeden Abend der Chef anriefe um noch mal zu sagen, dass die Verhandlungen am nächsten Tag heavy sein werden, dass man aber am Ende des Tages ganz klar wieder beieinander sein wird?
Die Antwort liegt in unserer schönen Welt der Diagnostiker und Therapeuten auf der Hand: Dann hat uns der miese kleine Bruder des Burnout am Nacken gepackt, das Boreout, die Sinnkrise aufgrund von Langeweile, Unterbeschäftigung und mangelnder Liebe durch den Vorgesetzten. Die Erschöpfung kennt viele Väter, und dass mittlerweile auch das Nichtstun einer davon ist, kann nur denjenigen überraschen, der sich noch über die regelmäßige Neuerfindung von Krankheiten und seelischen Dilemmata wundert. Die Langeweile gehörte immer schon zu den eher freudlosen Empfindungen des zivilisierten Menschen, sie stellt sich bei Verwandtenbesuchen ein, in Gesprächen mit uninteressanten Menschen und gelegentlich auch bei Tätigkeiten, die einen nicht sonderlich interessieren. Sie hat uns gelegentlich angeödet, die Langeweile, das ja. Aber niemand wäre vor zehn Jahren auf die Idee gekommen anzunehmen, sie mache uns krank. Nur das therapeutische Zeitalter, in das wir unmerklich eingetreten sind, kann uns in den Stand setzen, aus fast jeder unkomfortablen Gefühlsregung eine gesundheitliche Katastrophe zu machen. Für die mediale Berichterstattung ist die Entdeckung des Boreout-Syndroms natürlich ein Fest, nicht zuletzt auch deshalb, weil hier wieder eine medizinische Sensation vorstellig wird, deren Sonderbarkeit das beste Argument für ihre Ernsthaftigkeit ist. Warum sollten in einer sich in groteske Leistungshöhen steigernden Arbeitswelt nicht auch seltsame Neurosen blühen? Boreout – der Zusammenbruch infolge unmenschlicher Langeweile? Ja, natürlich, das klingt absolut schlüssig. Zumal sich auch bei den Gelangweilten die inzwischen vertrauten bis lieb gewonnenen Symptome Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Tinnitus und Laktoseunverträglichkeit einstellen.
Unser Verhältnis zu den Freuden und Leiden der Arbeit ist inzwischen dermaßen überkandidelt, dass wir irgendwann bestimmt für den Wunsch, gegen drei Uhr nachmittags einen Espresso zu trinken, einen pathologischen Begriff entdecken werden. Die Fähigkeit, uns selbst als unvollkommene, den Launen und Schwächen des Körpers, des Geistes und der Seele ausgelieferte Wesen zu begreifen, ist uns vollständig abhandengekommen. Mit der Langweile als alarmierendem Krankheitsbild ist unsere jüngste Therapiegeschichte möglicherweise an einer grotesken Zwischenetappe angelangt, zu Ende ist sie aber noch lange nicht. Unter Studenten,
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