Wir beide, irgendwann
Schwarz-Weiß, fast eine Silhouette. Ich spiele Saxofon vor einem offenen Fenster. Meine Haare sind schulterlang.
Ich öffne die Liste meiner Freunde und scrolle nach unten. Da ist Cody. Er trägt eine andere Krawatte, sieht ansonsten aber so aus wie gestern. Ich scrolle vor bis zum Buchstaben J, aber von Josh fehlt weiterhin jede Spur.
Ich klicke zu meiner Hauptseite zurück. Vor zwölf Sekunden habe ich etwas geschrieben!
Emma Nelson
Ich räume in meinem Leben auf und trenne mich von den Dingen, an denen ich viel zu lange festgehalten habe. Angefangen bei meinem Passwort, das ich nun schon seit 15 Jahren besitze. Warte noch drauf, dass mir ein neues einfällt.
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Ich will mich von Millicent trennen?
Clarence und Millicent stehen für alles Gute, das mich mit Josh verbindet. Und jetzt will ich mich davon trennen? Habe ich unsere Freundschaft für alle Zeit zerstört, nur weil ich ihn geküsst habe? Oder weil ich ihm keine klare Antwort auf seine Frage geben konnte, warum ich ihn geküsst habe?
Ach du je – ich kann mein Passwort nicht ändern! Ohne mein Passwort kann ich mich nicht bei Facebook einloggen. Und ohne Facebook geht gar nichts mehr. Meine Beziehung ist kompliziert. Von meinem Beruf ist keine Rede. Auch wenn ich derzeit nicht viel von meinem künftigen Leben weiß – irgendwann werde ich mehr darüber erfahren. Wie aber soll ich mein Leben wieder in den Griff bekommen, wenn ich nicht mit seinen Details vertraut bin?
»Emma!«, ruft meine Mom. Ich zucke zusammen. »Martin muss mal beruflich telefonieren. Kannst du aus der Leitung gehen?«
»Nein, im Moment …«
»Wir haben schon früher über dieses Thema gesprochen«, sagt sie mit warnender Stimme. »Wir bekommen bald eine zweite Telefonleitung, nur für das Internet. Aber bis dahin müssen wir uns eben abwechseln.«
Als ich meine Seite verlasse, denke ich an das Foto von Kellan, Tyson, Josh und mir im GoodTimez, das ich neulich in Stücke gerissen habe. Ich gehe zu meinem Mülleimer und hoffe, dass Martin ihn nicht geleert hat. Und dort, unter einem Haufen zerknüllter Papiertaschentücher, finde ich die Schnipsel des Fotos. Ich sammle sie in meiner Handfläche.
Mögen Josh und ich in Zukunft auch keine Freunde mehr sein, diese Erinnerungen darf ich nicht wegwerfen. Ich öffne die obere Schublade meiner Kommode, lege die Schnipsel sorgsam in mein Tagebuch und schließe die Schublade wieder.
51 ://Josh
Der Schulschwänztag des Abschlussjahrgangs ist angebrochen. Ohne ein Viertel der Schüler kommen einem die Gänge seltsam weit und leer vor. Die Ruhe fordert einen förmlich dazu heraus, sich in Gedanken zu verlieren.
Als ich zur dritten Stunde unterwegs bin, streife ich mit der Schulter an den Türen der Garderobenschränke entlang und denke über die Zeit nach. Wenn es möglich wäre, würde ich zu dem Abend vor sechs Monaten zurückkehren, an dem ich versucht habe, Emma zu küssen. Und diesmal würde ich es bleiben lassen. Sie würde sich auf der Suche nach Wärme weiterhin an meinem Arm festhalten, während wir über den Friedhofsweg schlendern, und wenn wir mit Tyson und Kellan zu ihrem Auto gelangen, wäre keine Unbeholfenheit zwischen uns. Falls diese Vergangenheit zu lange her ist, könnte ich vielleicht noch einmal auf der Veranda vor Emmas Haus stehen, und zwar an dem Tag, an dem sie ihren Computer bekommen hat. Und diesmal würde ich ihr die CD-ROM nicht geben. Dann hätte sie Facebook niemals entdeckt. Vermutlich wären wir uns auch dann nicht so nah, wie wir es früher einmal waren, doch zumindest würden wir miteinander reden.
Ich schlendere weiter den Gang hinunter, als eine Stimme hinter mir sagt: »Da bist du ja.«
Ich hole kurz Luft und drehe mich um.
»Ist das nicht komisch?«, sagt Sydney und zeigt auf den leeren Gang. »Als wäre heute niemand hier.«
Sie ist wirklich wunderschön mit ihren hellbraunen Haaren und den bernsteinfarbenen Augen. Sie könnte glatt in einer dieser Zeitschriften auftauchen, in denen Kellan und Emma ihre Persönlichkeitstests machen.
»Hast du schwere Arme von gestern?«, fragt Sydney. Sie streckt ihren Arm aus und befühlt meinen Bizeps. Gott sei Dank habe ich heute ein paar zusätzliche Liegestütze gemacht. »Hast ja ganz schön schuften müssen.«
»Nicht der Rede wert«, antworte ich, obwohl meine Arme immer noch schmerzen. »Und du?«
Sydney schiebt demonstrativ ihre Schultern nach vorn und lässt die Arme hängen. »Ich war ziemlich
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