Wir Ertrunkenen
Füße hinsetzte, änderten die Dinge ihren Namen.
Die Mädchen waren weiß gekleidet, und der Pastor hatte eine Ansprache gehalten, doch die Hauptperson des Besuchs war Isager gewesen. Es waren seine Schüler, die der Prinz in Augenschein nehmen wollte.
Zwölf Jahre danach kam noch eine Königliche Hoheit zu Besuch. Es war der spätere Frederik VII. Er tauchte während eines Nordsturms mit der Fähre auf. Wir standen am Kai und diskutierten, wer wohl der Prinz war, als ein Mann mit isländischen Fäustlingen und einer Kappe mit Ohrenklappen an Land sprang und die Trossen festmachte.
«Es ist kalt, Leute», sagte er, und das war der Prinz.
In der Schule sangen wir «Solange wir leben, wollen wir Seeleute sein». Den Text hatte Isager sich ausgedacht. Danach wurden wir abgehört. Mitten in der Prüfung wandte der Prinz sich an seinen Adjutanten und fragte ihn, ob er so schwierige Aufgaben rechnen könne wie die Kinder in Marstal. Der Adjutant verneinte, und der Mann, der eines Tages als Frederik VII. den Thron besteigen sollte, sagte: «Ich auch nicht.»
Die Rechenaufgabe, die die Bewunderung des Kronprinzen hervorgerufen hatte, stand auf Seite 47 von Cramers Rechenbuch und lautete folgendermaßen: «Die Erde durchläuft ihre jährliche Bahn, die 129 626 823 geographischen Meilen entspricht, in 365Tagen. Wenn die Erde sich immer mit derselben Geschwindigkeit bewegt, welche Entfernung legt sie dann in einer Sekunde zurück?»
Das war eine Frage, die durchaus jeden hätte schwindlig werden lassen können, vor allem, da Isager es versäumt hatte, uns zu erklären, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Aber die Antwort hatte er uns dafür um so exakter eingeschärft. Sie stand ganz hinten im Rechenbuch. Es waren vier Meilen und dann ein Bruch, den niemand hätte aussprechen können, wäre da nicht der Tampen gewesen. Ein Junge, der auf den Namen Svend hörte, antwortete aus diesem Anlass. Seither hieß er nur noch Sekunden-Svend. Den Bruch nahm er allerdings mit in sein nasses Grab. Dort endete er, im Alter von nur sechzehn Jahren.
Zum Dank für das Kompliment des Prinzen verbeugte sich Isager tief, und Frederik klopfte ihm auf die Schulter. Sekunden-Svend war mitgeteilt worden, dass er mit den Händen auf dem Rücken dazustehen habe, damit Frederik seine zerschlagenen Finger nicht sehen konnte.
Das war die ganze Lektion, die wir bei Isager erhielten: dass der Tampen und das Lineal ausgleichen mussten, wozu der Verstand des Lehrers nicht ausreichte. Sogar mit Cramers Rechenbuch in der Hand reichten Isagers Kenntnisse nicht weit. Dafür hatte er seinen Tampen. Wenn wir zählen lernten, dann nur, um die Anzahl der Schläge aufzurechnen, die wir erhielten. Und so standen also unsere großen Brüder vor dem Kronprinzen und rechneten um ihr Leben wie gequälte Papageien.
Später wurde in Marstal die Schule nach diesem ehrenvollen Ereignis benannt.
Frederiksskole hieß sie danach. Doch sie hätte ebenso gut Isagers Schule heißen können. Mit Frederiks Schulterklopfen waren die Schule und damit auch unsere Gliedmaßen zu Isagers persönlichem Eigentum geworden. Vor zwei zukünftigen Königen hatte er sich verbeugt, zwei zukünftige Könige hatten ihm auf die Schulter geklopft, danach war er unantastbar.
Es wurde eine Schulkommission eingerichtet, die aus einem Kaufmann und zwei Kapitänen bestand. Bei ihnen konnten sich unsere Eltern beschweren, wenn wir nach der Begegnung mit Isagers Tampen allzu misshandelt nach Hause kamen. Doch die Mitglieder der Kommission waren einfache Leute und stumm vor Ehrfurcht gegenüber dem gelehrten Schullehrer, der von nicht nur einem, sondern gleich zwei Königen belobigt worden war; und daher gab es niemanden, der mit seinen Beschwerden recht bekam.
Darüber hinaus erinnerten sich alle, wie es zu Zeiten des alten Andrésen gewesen war. Damals gab es dreihundertfünfzig Schüler in der Schule, aber nur zwei Klassen, die jede einhundertfünfundsiebzig Schüler hatte. Für Andrésen war es unmöglich, sich an sämtliche Namen zu erinnern, daher hatte er ihnen Nummern gegeben. Er dirigierte sie mit Hilfe einer Trillerpfeife. Überall in der Schule, die gleichzeitig auch Amtswohnung des Lehrers war, saßen Schüler, auf den Fensterbrettern, in der Küche, ja sogar im Garten. Die Fenster mussten offen stehen, bis die Kälte es nicht mehr zuließ, doch schon lange vorher litten alle wegen des
Zugs unter Erkältung und Bronchitis. Wenn der Winter das Schließen der Fenster erzwang,
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