Wir Ertrunkenen
Steilküste bei Drejet, aber bevor wir dort ankamen, war Karo die Puste ausgegangen. Er war es nicht gewohnt, sich weiter als von seinem Hundekorb zum Futternapf und wieder zurück zu bewegen. Nun machten seine kurzen Kommodenbeine schlapp, und er legte sich sabbernd vor Anstrengung auf den Bauch.
Aber noch durfte er nicht aufgeben.
Was wir vorhatten, konnten wir nicht inmitten der offenen Felder tun.
Hans Jørgen hob ihn auf und hielt ihn im Arm. Karo leckte ihm glücklich übers Gesicht, und Hans Jørgen schnitt eine Grimasse.
«Pfui!», brüllten wir im Chor.
Dann rannten wir weiter. Unsere Erregung stieg. Wir konnten nicht länger warten. Wir liefen den ersten Hügel hinunter, dann den nächsten wieder hinauf, bis an den Rand der Steilküste. Es war eine Stelle, die uns schon immer angezogen hatte. Es war so schwindelerregend tief bis zu dem mit Steinen bedeckten Strand, und das Meer erstreckte sich in alle Richtungen. Für uns war es ein Mysterium, wenn wir auf der Steilküste standen und über das Wasser starrten. Wir wussten, dass es unser eigenes Leben war, das wir vor uns ausgebreitet sahen. Wir kamen häufig hierher und wurden immer still bei diesem Anblick.
Die Steilküste fiel nicht an allen Stellen senkrecht ab. Sie war abschüssig, aber in der fetten lehmigen Erde wuchsen Breitblättriges Knabenkraut, Schafgarbe und Rainfarn. Wir konnten uns über den Rand des Steilhangs in den leeren Raum werfen und fanden einige Meter weiter unten wieder Halt. Hinuntergehen konnten wir nirgends, aber mit Vorsicht ließ sich die Steilküste dennoch besiegen, nicht immer ohne Schrammen, aber um die Lebensgefahr ging es ja, wenn wir dort herumkletterten.
Nun standen wir an der Kante und schauten über die Ostsee. Hans Jørgen hatte noch immer Karo im Arm. Er bellte wieder. Er glaubte sicher, wir wollten ihm die ganze Welt zeigen. Wir hatten nichts verabredet. Das war auch nicht nötig. Wir wussten alle, was passieren sollte.
Hans Jørgen hielt Karo an den Vorderbeinen und schwang ihn vor und zurück. Der Schmerz ließ ihn nach Hans Jørgen schnappen, doch sein massiver Hals war zu kurz. Er biss mit seinen kleinen, gefletschten Zähnen in die Luft, wobei er halb fiepte, halb knurrte. Seine Hinterbeine zappelten in der Luft, als ob sie nach Halt suchten.
«Niels, Niels, Schneckenhorn!», rief Hans Jørgen, und wir stimmten ein.
«Hier ist ein Mann, der kauft dein Korn!»
Hans Jørgen ließ los, und Karo segelte in hohem Bogen dem wolkenbedeckten
Herbsthimmel entgegen, um dann sehr tief auf die Steine des Strandes zu fallen. Sein fetter Körper zuckte und wand sich. Es sah so komisch aus. Wir standen ganz am Rand des Steilhangs, um zu sehen, wie er auf dem Strand aufschlug. Zunächst hörten wir nichts. Er lag reglos auf der Seite. Dann kam so etwas wie ein Wimmern, kein Heulen, sondern ein Klagen wie von jemandem, dessen Kräfte erschöpft sind. Langsam drehte Karo sich um, bis er auf dem Bauch lag. Er versuchte, auf die Beine zu kommen, doch vergeblich. Sein Hinterleib bewegte sich nicht. Nur die Vorderbeine krabbelten los. Er versuchte es wieder und wieder, und die ganze Zeit konnten wir ihn hören. Karo klang mehr wie ein Kind als ein Tier, und dieser schneidende, gleichzeitig dünne wie durchdringende Ton war der Auslöser.
In diesem Augenblick starb jäh der Triumph in uns.
Wir sahen uns an. Wir kletterten den Steilhang hinunter, jeder für sich. Wir waren nicht länger eine Gruppe. Die meisten von uns wären am liebsten nach Hause gelaufen und hätten alles über Karo vergessen. Aber Hans Jørgen war der Anführer, also folgten wir ihm. Wir passten nicht besonders gut auf. Der kleine Anders rutschte aus und kullerte mehrere Meter hinunter. Dann schlug er auf einen Stein und kam weinend wieder auf die Beine. Wir waren übel zugerichtet, als wir Karo umringten, der noch immer auf diese unheimliche, kaum auszuhaltende Art jaulte.
Er sah uns an und leckte sich mit seiner kleinen rosafarbenen Stummelzunge die Schnauze. Er sah beinahe heiter aus in diesem Moment, als hätte er uns überhaupt nicht im Verdacht, die Ursache seines Unglücks zu sein, sondern erwartete stattdessen, dass alles wieder gut würde. Er wedelte nicht mit dem Schwanz, aber das lag wohl daran, dass sein Rückgrat gebrochen war.
Wir standen in einem Kreis um ihn herum. Jetzt gab es niemanden mehr, der Lust hatte, nach ihm zu treten. Er sah so unschuldig aus. Er hatte ja auch nichts getan, und nun lag er da und jaulte mit seinem
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