Wir Ertrunkenen
was dort vor sich ging. Er hörte wütende Rufe von unten aus der Dunkelheit.
«Du hast meinen Whisky gestohlen, du verdammter Hund!», brüllte ein Engländer.
Es wurde auf Italienisch geantwortet, dann in einer Sprache, von der er glaubte, es sei Griechisch. Zwischendurch hörte er Sätze, in denen er zwar einzelne Worte verstand, deren ganzer Sinn sich ihm aber nicht erschloss. Es waren Seeleute, die viele Jahre so eng mit anderen Nationalitäten zusammengelebt hatten, dass sie schließlich die Sprachen miteinander vermischten und wie ein ganzer Turm zu Babel redeten.
Die verschwundenen Whiskyflaschen mussten die Ursache für die Prügelei sein. Albert hörte das Geräusch eines Schlags, dann eines Körpers, der schwer gegen ein Schott knallte. Er sah ein Messer in einer Hand und hörte ein Stöhnen. Die Kämpfer atmeten keuchend und angespannt, im gleichen Rhythmus wie bei einem Shanty, wenn der Anker gelichtet
wird. Doch jetzt war es etwas Schwarzes und Erschreckendes, das sie aus einer Tiefe hochzogen, die sie in sich selbst fanden.
Obwohl Albert an Deck in Sicherheit war, trat er ein paar Schritte zurück. Was konnte er in der Dunkelheit dort unten schon ausrichten? Das Kampfgetümmel musste sich erst einmal beruhigen. Er hatte so etwas schon früher erlebt, es endete selten mit einem Toten. Sie würden am nächsten Tag aus der Unterkunft auftauchen, mit rasenden Kopfschmerzen, zerschlagen und voller Schrammen, und dann würden sie stumm, widerwillig und mit geröteten Augen ihre Arbeit beginnen. Heute waren sie Tiere. Morgen würden sie wieder Seemänner sein.
Nicht die Gewalt dort unten im Mannschaftslogis fürchtete Albert in diesem Augenblick, sondern den Mangel an Autorität des Kapitäns.
«Weg da!»
Albert wurde an der Schulter gepackt und resolut zur Seite gestoßen. Vor ihm erhob sich ein Ungeheuer von Mensch. Das Gesicht wurde von einer großen, rot blühenden Nase beherrscht und von sich kreuz und quer darüber ziehenden Narben verunstaltet, als wäre der Kopf ein Kürbis, den jemand mit einem Messer bearbeitet hatte. Die Augen ertranken in Fleischmassen, die Pupillen lagen wie schwarze Steine am Grund eines tiefen Sees. Albert ahnte, dass auch der muskelstrotzende Oberkörper unter dem dreckigen, zerrissenen Hemd von Narben übersät war, die von Messerstichen stammten. Jemand hatte mit einem scharfen Instrument das Herz dieses massigen Menschen gesucht, aber angesichts dieser überwältigenden Menge an Fleisch, Sehnen und Muskeln hätte man ebenso gut mit einem Messer auf eine Dampflokomotive einstechen können.
Albert begriff augenblicklich, wen er vor sich hatte. Das war der Inhaber des Throns, der wahre Herrscher über das Schiff.
Der Steuermann war eingetroffen.
Der Riese sprang mit einem Satz durch den Niedergang ins Mannschaftslogis. Er benutzte nicht die Leiter, sondern ließ seinen enormen Körper einfach zwischen die Kämpfenden fallen. Von unten war ein Schlag und ein Brüllen zu hören. Dann wurde das Kampfgetümmel heftiger. Schmerzensgeheul und Stöhnen vermischten sich, das Geräusch von Schlägen und dann ein Jammern, das man nicht mit Männern bei einer Schlägerei verband.
Es dauerte eine Weile, dann ließ der Lärm nach. Schließlich war nur noch eine Stimme zu hören, von der Albert annahm, dass sie dem Steuermann gehörte.
«Habt ihr genug? Habt ihr genug?»
Ein Gejammer war die einzige Antwort. Dann das Geräusch von ein paar weiteren Schlägen, vielleicht waren es aber auch Tritte, dann senkte sich Stille über die Unterkunft der Besatzung.
Der Steuermann stand schwer atmend in der Türöffnung. Er hatte dort unten in der Dunkelheit die Grundlage für einige weitere Narben gelegt. Er blutete aus einem tiefen Riss über dem Auge, und auch vom Hals rann ihm Blut herab. Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und zeigte dabei eine so gleichgültige Miene, als wäre das Blut nur Schweiß, der sich in einer seiner buschigen Augenbrauen verfangen hatte.
Albert hatte sich nicht von der Stelle gerührt, seit der Steuermann im Logis verschwunden war. Nun wurde er zur Seite gefegt, und der blutende Steuermann sah sich prüfend unter dem Rest der Mannschaft um, als überlegte er, mit der Bestrafung fortzufahren, die er in der Kajüte begonnen hatte.
«Der Name ist O’Connor.»
Die Männer auf Deck nickten, als hätte er einen Befehl gegeben.
O’Connor ging zu dem Thronsessel und ließ sich schwer darauf nieder. Er rülpste. Durch das auf der Stirn verschmiert
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