Wir Ertrunkenen
und keine Zinnsoldaten auf der Flucht. Ein Drache fauchte heiß auf sein blankes Herz.
Zeit zum Nachdenken gab es nicht. Auf Deck herrschte ein einziges Durcheinander. Ein Offizier schrie Ejnar mit wirrem Blick an, er solle zusammen mit dem Steuermann und einem Soldaten zum Mast gehen. Irgendeinen Sinn hatte dieser Befehl nicht, aber Ejnar tat, was ihm befohlen wurde. In diesem Moment brach der Soldat in einer Blutlache zusammen. Es sah aus, als hätte es eine innere Sprengung gegeben. Ein Loch öffnete sich in der Brust, Blut quoll heraus. Ejnar sah, wie ein Auge rot explodierte und die Schädeldecke abgerissen wurde. Es war ein seltsamer Anblick, als die hellrote Gehirnmasse schutzlos vor ihm lag und herausspritzte, als würde jemand mit einer Kelle auf Grütze einschlagen. Ejnar wusste nicht, dass einem Menschen so etwas widerfahren konnte. Dann schoss eine weitere Kanonenkugel heran und riss den Leutnant mit sich. Ejnar wurde gleichzeitig heiß und kalt beim Anblick dieses Weltuntergangs, und vor lauter konfuser Erregung begann seine Nase zu bluten.
Ein anderer Offizier, dem ebenfalls Blut übers Gesicht lief, scheuchte ihn an die Kanone Nr. 7. Ejnar war an der Kanone Nr. 10 eingeteilt, doch die hatte in der Zwischenzeit einen Volltreffer erhalten und stand verkantet in ihrer Stückpforte. Rundum ein Wirrwarr regloser Körper, unter denen das Blut zu einem langsam immer größer werdenden See zusammenfloss. Dünne Ströme von Urin bildeten ein Delta zwischen den Beinen der Toten. Er konnte nicht erkennen, ob Kresten oder Lille Clausen unter ihnen waren. Ein Stück entfernt lag ein abgerissener Fuß. Wie die Toten hatte auch Ejnar das Wasser einfach laufen lassen. Der Kanonendonner hatte ein Erdbeben in seinen Eingeweiden ausgelöst, seine Hosen waren ebenfalls voll. Er wusste, dass Tote im Augenblick des Sterbens ihren Darm entleeren, aber dass so etwas auch den Lebenden passierte, hatte er sich nicht vorstellen können. Der Krieg sollte die Taufe des Mannesalters sein. Diesem Satz misstraute er in dem Moment, in dem er et-was Klebriges seine Schenkel hinunterrinnen spürte. Er fühlte sich halb wie ein Toter, halb wie ein Säugling, doch er begriff sehr schnell, dass er nicht der Einzige war. Ein Gestank wie aus einer umgestürzten Lokustonne trieb über das Deck. Und er kam nicht allein von den Getöteten. Der größte Teil der Kämpfenden hatte besudelte Hinterteile.
Der Geschützführer der Kanone Nr. 7 war noch am Leben. Er blutete aus einer Wunde über der Augenbraue, dort hatte ihn ein herumfliegender Holzsplitter getroffen. Er schrie Ejnar, der nichts hören konnte, irgendetwas zu, aber erst als der Kommandierende auf das Rohr zeigte, begriff er, dass er die Kanone laden sollte. Nur waren seine Arme nicht lang genug, und er musste halb aus der Stückpforte klettern, um die Kugel in den Lauf zu stopfen. Hier war er für die feindliche Batterie ein gut sichtbares, leichtes Ziel. Aber er dachte nur daran, dass eigentlich bald mal jemand mit Branntwein vorbeikommen müsste.
Unterdessen war es der Gefion gelungen, sich auf ihre Position in der Bucht zu manövrieren, so dass wir nun mit der Breitseite zur Batterie lagen; doch der Dampfer Geiser, der versucht hatte, mit einem Schlepptau zur Hilfe zu kommen, hatte einen Treffer in der Maschine abbekommen und musste den Rückzug antreten. Das Gleiche galt für die Hekla, deren Ruder zerschossen war. Der Wind kam direkt aus Osten, und der Verlust der beiden Dampfschiffe, die uns beim Manövrieren hätten unterstützen sollen, bedeutete, dass es uns nicht möglich sein würde zu fliehen, wenn alles schiefging.
Das Kriegsglück schien sich unterdessen zu wenden. Die nördliche Batterie bekam einen Volltreffer nach dem anderen, und am Strand sahen wir die Zinnsoldaten einfach davonrennen. Das war der halbe Sieg! Allerdings blieben ihre Kanonen unversehrt, und neue Soldaten liefen herbei, sie schossen praktisch ohne Unterbrechung zurück. Eine weitere Ration Branntwein wurde ausgeteilt. Der Quartermeister ging mit der Branntweinpütz herum. Wir nahmen den angebotenen Becher mit einer Feierlichkeit entgegen, als wären wir beim Abendmahl und würden aus dem Kelch trinken. Das Fass Bier war glücklicherweise nicht getroffen, wir suchten es häufig auf. Wir fühlten uns einfach verloren. Der ununterbrochene Beschuss und die Zufälligkeit, mit der der Tod unter uns auf Deck erntete, ließ uns merkwürdig müde werden, obwohl die Schlacht noch immer erst wenige
Weitere Kostenlose Bücher