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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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ausgeschlagenen Buchenwalds. Und über all dem lag ein Glanz, wie wir ihn nie zuvor erlebt hatten.

    «Mir wird ganz feierlich zumute», sagte Lille Clausen, als wir Sprache und Gehör wiedergefunden hatten. «Teufel auch, Teufel auch.»
    Er konnte gar nicht mehr aufhören zu fluchen.
    «Der Teufel soll mich holen, wenn ich so was schon mal gesehen habe.»
    Den Kanonendonner hatten wir ja bereits während der Generalprobe am Abend zuvor gehört, aber Zeuge der Wirkung der Kanonen zu sein – das veränderte einen Mann.
    «Nun ja», sagte Ejnar nachdenklich, «diese Kanonen, das ist schon etwas anderes als Pastor Zachariassens Predigten. Tja, was sagst du, Kresten?»
    Kresten hatte einen geradezu frommen Gesichtsausdruck. «Denkt nur, dass ich so etwas erleben darf», sagte er leise.
    «Dann glaubst du also nicht mehr, dass du erschossen wirst?»
    «Doch, jetzt weiß ich es. Aber ich habe keine Angst mehr.»
     
    Dies war allerdings noch nicht die Feuertaufe, denn die Sechzigpfundkanonen, die wir zu bedienen hatten, waren auf dem obersten Deck der Backbordseite stationiert, und bald würden wir an die Reihe kommen, spätestens, wenn wir weiter in Richtung Eckernförde segelten, wo zwei zusätzliche Batterien warteten, eine an jedem Ufer der Bucht. Aber mit diesem Gegner brauchte man ja nicht groß zu rechnen. Es war noch nicht einmal acht Uhr morgens und die Schlacht schon halb gewonnen. Wir machten uns Sorgen darüber, dass der Krieg vorbei sein würde, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Gerade waren wir ein wenig auf den Geschmack gekommen, da hatten wir die Deutschen bereits vor dem Mittagessen geschlagen.
    Die Gefion erreichte das Ende der Bucht, die nördliche Batterie lag direkt voraus. Bloß zwei Kabellängen waren wir von der südlichen Batterie entfernt, als wir die Marssegel brassten und in den Wind stellten. Den Klüver holten wir ein und ließen backbord den Anker zusammen mit einem Schleppanker fallen, so dass wir die Breitseite ausrichten konnten, denn nun galt es zu schießen. Die Christian VIII. machte das Gleiche.
    Unser Blut kochte. Wir waren wie Kinder, die ein chinesisches Feuerwerk erleben durften. Jegliche Furcht war verschwunden. Zurück blieb
nur die Erwartung. Den bereits errungenen Sieg hatten wir noch nicht verarbeitet, da erwartete uns bereits ein neuer.
     
    Die Gefion begann zu schwojen, der Schleppanker hielt nicht. Die Strömung war zu stark, und wir trieben auf die südliche Batterie zu. Wir sahen hinüber zur Christian VIII. Auch das große Linienschiff trieb dicht unter der Küste und lag bereits unter intensivem Beschuss. Sie ließen den schweren Anker fallen, um die Abdrift aufzuhalten, und antworteten mit einer gewaltigen Salve, die sich über die gesamte Längsseite vom Vordersteven bis achtern zog. Pulverdampf quoll aus einer Stückpforte nach der anderen, bis er in einer großen, rasch anwachsenden Wolke über die Bucht trieb. Doch die Schüsse lagen zu hoch und schlugen in den Feldern hinter der Batterie ein. Sie hatten keine Zeit gehabt, die Kanonen einzurichten, als sie wider Erwarten auf die Küste zutrieben.
    Einen Augenblick später war die Reihe an uns. Wir lagen so dicht vor der Küste, dass wir in Reichweite der Gewehre gerieten. Die Strömung und der Wind spielten weiterhin mit uns. Wir lagen querab in der Bucht, und das bedeutete, dass unsere Breitseiten beide aufs offene Wasser zielten. Nur die vier Achterkanonen hatten eine Chance, das gewaltige Feuer der Batterie zu beantworten.
    Der erste Treffer fegte elf Männer vom Achterdeck. Graue Erbsen nannten wir die Kanonenkugeln, doch es war keine Erbse, die hier in einem Hagel aus Holzsplittern auf Deck niederging und Schanzkleid, Stückpforten und Menschen auseinanderriss. Ejnar hatte die Kugel kommen sehen. Er registrierte jeden Meter ihres Flugs, als sie tief übers Deck strich. Einem Mann schlug sie die Beine weg – die Beine flogen in die eine Richtung, der Rest des Mannes in die andere. Sie erwischte eine Schulter und zerschmetterte einen Schädel. Knochensplitter, Blut und Haar klebten daran. Sie hielt auf ihn zu. Ejnar ließ sich hintenüberfallen und sah sie vorbeifliegen. Später sagte er, dass sie seinen Schnürsenkel mitgerissen hätte. So nah war sie ihm gekommen, bevor sie durch das Schanzkleid an Backbord krachte.
     
    Für Ejnar war die Kanonenkugel ein Ungeheuer mit einem eigenen, freien Willen. Es zeigte ihm, was Krieg bedeutete, und das waren keine
Strandbatterien, die in die Luft flogen,

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