Wir Ertrunkenen
Mund. Die Regentropfen fielen mir schwer und kalt ins Gesicht. Dann schlugen sie gegen meine Schulter und die nackte Brust. Ein Beben schüttelte mich, als würde alles in mir wieder zum Leben erwachen.
Hinter mir nahm ich eine Bewegung wahr, und ich drehte mich um. Die Kanaken kamen zu mir. Zwischen sich trugen sie ihren verwundeten Kameraden. Wir standen nebeneinander an der Reling und ließen uns vom Regen durchnässen.
Ich hatte nie wirklich erfahren, was Durst bedeutete, und ich habe nie wieder eine solche Dankbarkeit empfunden wie damals, als die ersten Tropfen meine Lippen benetzten. Ich schnappte in der Luft nach mehr und vergaß einen Augenblick, wer ich war.
Das Meer begann sich zu bewegen. Die ersten Wellen erhoben sich und schlugen sachte an den Rumpf. Das Schiff reagierte mit einem leichten Schaukeln, als hätte es lange auf eine Einladung gewartet, sich wieder zu bewegen. Die erste Welle brach sich. Eine Schaumkrone leuchtete weiß im Nachtdunkel auf. Das Schonersegel über uns schlug schwer im Wind. Ein Sturm zog heran.
Rasch machten wir das Schiff klar. Das Sonnensegel bog sich unter der Last des Regenwassers, das sich bereits darin gesammelt hatte, und bevor wir es abnahmen, füllten wir damit unsere Tonnen. Der Durst brannte uns nicht mehr im Hals. Wir hatten mehrere Tage nichts gegessen, und während wir das Schiff klarmachten, um den Sturm abzureiten, fiel mir auf, wie geschwächt wir waren. Doch nichts konnte unsere Freude über den Regen und den Wind dämpfen, nicht einmal die Aussicht, dass wir ohne Proviant einen Sturm überstehen sollten.
Jedes Mal, wenn ich meine Befehle durch den aufgekommenen Wind rief, der schon bald zu einem Heulen in der Takelage anschwoll, antworteten die Kanaken mit den einzigen Worten, die ich sie je auf Englisch sagen hörte: «Aye, aye, Sir!»
Und jedes Mal hörte es sich an wie ein Chor, der einem Sänger antwortet.
Es klingt seltsam, vielleicht lebensverachtend, wenn ich sage, dass wir dem Sturm mit Jubel entgegensegelten, aber mir fällt kein anderes Wort ein, das die Stimmung, die uns erfasst hatte, besser beschreibt, während wir durchnässt zusahen, wie die Wellen um uns herum anwuchsen, bis große Fahnen von fliegendem Schaum Himmel und Meer zu vereinen schienen.
Wir hatten das Schonersegel doppelt gerefft, doch bald segelten wir nur noch mit der Stagfock, sonst wären Masten und Rigg über Bord gegangen. Ich band mich am Ruder fest. Riesige Wellen brachen sich über uns und fegten auf ihrem Weg vom Bug bis achtern alles vom Schiff, was nicht festgezurrt war. Ich stand dort zwei Tage. Ich hätte mich alle vier Stunden von einem der Kanaken ablösen lassen können, tat es jedoch nicht, weil ich ihnen nicht traute. Aber es gab etwas, das ich mir selbst beweisen musste, und ich glaube, das haben sie verstanden.
Sie hatten an Deck Seile gespannt, an denen sie sich festhalten konnten, wenn sie sich auf dem Schiff bewegen mussten, doch die meiste Zeit zurrten sie sich ebenso fest wie ich. Den Verletzten hatten sie in die Takelage gebunden, außerhalb der Reichweite der Wellen. Ab und zu enterten sie mit einem Becher Wasser zu ihm auf und benetzten seine Lippen. Auch mir brachte einer von ihnen Wasser.
Eine Welle hinterließ einen Thunfisch an Deck. Ich nahm es als ein Zeichen. Vorher hatten die Fische sich ferngehalten. Nun kamen sie zu uns. Die See verschwendete ihre Gaben. Einer der Kanaken warf sich in der kurzen Pause zwischen zwei Sturzseen auf den Fisch und schlitzte ihn mit seinem Messer auf. Er brachte mir ein Stück lebendiges Fleisch, das in meiner Hand noch zuckte.
Mein innerer Jubel hielt in den zwei Tagen, die der Sturm dauerte, unvermindert an, und gestützt von dem Seil hielt ich mich mit dem Ruder in der Hand auf den Beinen. Ich merkte nicht, dass ich müde wurde.
Dann endlich, am dritten Tag, legte sich der Wind. Ich band das Seil los und ließ mich ablösen. Ich schwankte ein wenig auf Deck. Mit einem Schlag überwältigte mich die Müdigkeit. Ich dachte, ich werde ohnmächtig, und musste mich am Ruder festhalten, das ich doch gerade erst losgelassen hatte. Ich starrte hinunter aufs Deck, während ich versuchte, das Gleichgewicht zu halten.
Als ich wieder aufblickte, hatten die Kanaken mich umringt. Der Verwundete war aus dem Rigg geklettert und hielt sich ohne Hilfe auf den Beinen, als hätte ihm der Aufenthalt hoch oben in der Luft gutgetan. Ich streckte die Hand aus. Sie starrten darauf. Dann streckten sie auch ihre aus.
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