Wir Ertrunkenen
gefesselt. Ohne das Schiff kam ich nicht weiter. Jack Lewis und ich waren untrennbar miteinander verbunden. Er hatte den Kurs für mich abgesteckt, und ich musste ihm folgen. Mein Name würde von nun an mit seinem verknüpft sein, ob man mich nun als seinen Mörder oder seinen Mitschuldigen betrachtete.
Ich überlegte, den Kurs zu ändern, aber ich hatte nicht nur die Verantwortung für mich, sondern auch für die Kanaken. Wo sollte ich denn hin? Wir konnten nicht nur von Fisch leben oder darauf vertrauen, dass uns die Wettergötter auch weiterhin mit Wasser versorgten. Es schien, als wäre mein Schicksal vorbestimmt. Flucht war nicht möglich. Ich
konnte mich an nichts anderes halten als an meine Verantwortung als Kapitän. Das bedeutete, dass ich das Schiff mit seiner Besatzung sicher führen musste.
Aber ich hatte vergessen, das Meer in meine Berechnungen miteinzubeziehen.
Jeder Seemann kennt dieses bittere Gefühl: Die Küste ist bereits zum Greifen nahe, aber du wirst sie nie erreichen. Gibt es etwas Schlimmeres, als mit Sicht auf Land zu ertrinken? Gibt es einen unter uns, der nicht mindestens einmal von der Angst heimgesucht wurde, mit der rettenden Küste vor Augen den Halt zu verlieren?
Ich stelle mir vor, dass es nur halb so schrecklich ist zu ertrinken, wenn ein graues und aufgewühltes Meer den Horizont nach allen Seiten hin verschwimmen lässt. Am schwersten muss es jedoch sein, wenn ein Blick bricht, der noch auf etwas Geliebtes gerichtet ist, auf eine Hoffnung, eine Hand, die sich nach dir ausstreckt. Sogar der Schrecken braucht Maßstäbe, und ist nicht gerade das Bekannte der Maßstab für das Unbekannte?
Wir hatten Landsicht, als der Sturm aufkam. Samoas grüne Berge waren bereits am Horizont aufgetaucht, als das Unwetter über uns hereinbrach. Als hätte der Sturm hinter der Insel auf der Lauer gelegen und nur auf unsere Ankunft gewartet. Einen ganzen Tag hielten wir durch. Wurden wir auf den Kamm der Wellen geschleudert, die so hoch waren wie ein Berg, konnten wir Samoa sehen. Dann wurde das gesamte Vorschiff unter der nächsten Welle begraben, und wir waren wieder allein mit dem Meer. Wir kamen dem Ziel unserer Reise nicht näher. Allerdings wurden wir auch nicht stärker abgetrieben. Nach einer Sturzsee holte das Schiff über. Wanten und Stag, die nur noch mit Mühe den Mast hielten, gaben mit einem kläglichen Laut nach. Mast und Rigg stürzten herab, und ich fühlte mich, als hätte man mir eines meiner Glieder ausgerissen, das nun nur noch mit den letzten Sehnen und Muskeln am Körper hing.
Und doch glaube ich, dass wir den Sturm hätten abreiten können, denn an Deck fehlt es mir nicht an Selbstvertrauen. Ich sah allerdings ein, dass die wirkliche Gefahr für unser Überleben nicht von dem havarierten
Schiff ausging, sondern von unserer eigenen Schwäche. Wir waren durch die Strapazen, die wir in den letzten Wochen durchgemacht hatten, erschöpft und entkräftet. Der Kampf gegen den Sturm war zu ungleich. Wir mussten Land suchen.
Obwohl ich nie zuvor Apia angelaufen war und nichts über die Gefahren wusste, die in dem Versuch lauern, die schmale Lücke im Riff bei Sturm zu überwinden, war mir klar, dass ich uns alle einem großen Risiko aussetzte. Was, wenn wir auf das Riff liefen und untergingen? Unser Beiboot hatten wir während des Kampfes gegen die Eingeborenen in der Lagune der Insel der freien Männer verloren. Sollten wir nun so nah am Ziel den Tod finden?
Ich befahl den Kanaken, den Mast in Stücke zu hacken und die einzelnen Teile mit den Rahen zusammenzubinden, so dass aus den Wrackteilen ein Floß entstand, das uns das letzte Stück in die Bucht von Apia bringen konnte, sollte mein Versuch, durch die Öffnung des Riffs zu gelangen, misslingen. Ich fiel unterdessen vom Wind ab, so dass die Flying Scud querab lag. Es stellte ein Manöver dar, das ebenso risikoreich war wie alles andere, was wir unternahmen. Wäre in diesem Moment eine große See über uns hereingebrochen, hätte es den sicheren Untergang bedeutet. Wir wussten alle, dass es um unser Leben ging.
Die Kanaken arbeiteten hart und systematisch mit ihren Äxten, und schon bald lag das Floß festgezurrt auf Deck. Meine Schiffskiste mit den Stiefeln meines Vaters und Jim hatte ich längst gepackt. Ich befahl, sie aufs Floß zu binden. Dann ging ich wieder härter an den Wind und nahm Kurs auf das Riff.
Auf dem Kamm einer Welle erkannte ich Samoa. Der Sturmhimmel über uns hatte eine giftige lila Farbe
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