Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
eine Bombe oder etwas anderes Hässliches darin sein, also war Vorsicht geboten. Doch der Stock reichte gar nicht heran. Sie hatte aus Versehen Anna-Gretas Stock genommen, und der war nach wie vor krumm. Stattdessen gingen sie nun zweimal vorsichtig um den Wagen herum und musterten ihn von oben bis unten, bevor sie es wagten, ihn nach tiefem Durchatmen anzufassen und den Regenschutz hochzuheben. Da sahen sie es. Die Babypuppe war nach unten gerutscht, und jemand hatte die Decken durcheinandergebracht. Die Kissen und die Windeln mit dem Geld waren fort, und unter der Decke sah man einen Buckel, oder vielmehr zwei, wie bei einem Kamel. Märtha tastete nach und ließ ein kleines »Juchu« los, denn dort befanden sich tatsächlich zwei Bilder. Sie waren gut verpackt. Ihre Finger konnten zwei stabile Rahmen tasten. Einer war kantig wie der von Monet und der andere geschwungen, breit und mit abgerundeten Ecken wie beim Bild von Renoir. Sie versuchte, den Renoir herauszuheben, um ihn anzusehen, doch es gelang ihr nicht. Der Goldrahmen war einfach zu schwer.
»Dann gehen wir am besten direkt ins Museum, oder?«, fragte sie leise, und Stina nickte. Sie lösten die Bremse und bewegten sich langsam in Richtung Hovslagaregata. Dort hielten sie wieder an.
»Hier ist etwas mehr Licht. Wir sollten sichergehen, dass die Bilder nicht beschädigt sind. Hast du Handschuhe dabei, Stina?«
»Ja, nimm sie dir aus der Tüte. Ich muss Malin halten. Sie hat in die Hosen gemacht.«
»Typisch.«
Märtha kramte nach den Handschuhen, zog sie an und begann, das Papier aufzureißen. Das Bild war in mehreren Schichten fest verpackt und wesentlich schwieriger zu entfernen, als sie gedacht hatte. Aber als sie an einer Ecke den Goldrahmen durchscheinen sah, schnappte sie vor Freude nach Luft.
»Schau mal, Stina. O Gott, wie bin ich froh. Weißt du was, das Besitzen allein ist nicht die größte Freude. Etwas verschenken zu können ist auch ein Hochgefühl, wahrscheinlich noch stärker. Aber etwas richtig Wertvolles, das man gestohlen hat, zurückgeben zu können, das ist wohl das Größte.«
»Für Philosophie haben wir jetzt aber keine Zeit. Ich muss Malin die Windeln wechseln.«
Märtha legte die Decke schnell wieder über die Bilder und trat ein paar Schritte zurück, damit Stina Platz hatte. Das Wickeln dauerte nicht lange, und man sah, dass sie Übung hatte, aber es war ja auch ihr drittes Enkelkind. Ein unverkennbarer Duft stieg empor.
»Wie gut, dass Monet und Renoir nichts mehr riechen können«, sagte Märtha dazu.
Stina gab keine Antwort. Sie stopfte die volle Windel ans Fußende. Dann legte sie Malin hinein, so gut es ging.
»Wir sollten uns beeilen. Deck sie zu. Da hinten kommen Leute.«
Märtha sah auf. Es stimmte, da wanderte ein Grüppchen Senioren geradewegs auf sie zu. Schnell zog die das Regenverdeck herunter.
»Die wollen sicher ins Nationalmuseum.«
»Woran erkennst du das?«
»Ein oder zwei Männer und eine Horde alter Frauen. Das bedeutet Kulturprogramm.«
Sie bogen um die Ecke und liefen zum Museum, aber als sie zum Strömkai am Grand Hotel hinunterkamen, erfasste der Wind den Kinderwagen. Eine heftige Windböe fuhr unter den Regenschutz, so dass der Kinderwagen in Richtung Kai rollte. Märtha erkannte die Gefahr und fasste den einen Griff des Wagens, um das Gefährt anzuhalten. Doch da lockerte sich der Griff, und sie stand da plötzlich mit diesem Teil in der Hand. Instinktiv sprang Stina heran und riss Malin heraus, doch da kam schon die nächste Windböe. Der nun wesentlich leichtere Kinderwagen rollte mit Fahrt hinunter zum Wasser.
»Rette ihn, rette ihn!«, kreischte Stina, und Märtha lief hinterher. Sie sah es schon vor sich, wie der Wagen ins Wasser stürzte, während sie hilflos zusehen musste, wie der Renoir und der Monet in der Tiefe versanken. Eine drohende Gefahr kann – wie man weiß – enorme Kräfte freisetzen, also versuchte Märtha zu rennen. Doch schon nach drei Schritten erkannte sie, dass sie es nicht schaffen würde und schrie um Hilfe. Ja, sie brüllte und kreischte, obwohl sie sich dem Museum ja still und leise nähern wollten. Ein Schiffer von der Waxholmsgesellschaft sah, was passierte, und sprang zum Kinderwagen hinüber. Es gelang ihm, ihn anzuhalten, und schob ihn zurück auf die Straße.
»Vielleicht sollte ich mal den Regenschutz abnehmen, damit der Wind nicht darunterfahren kann«, sagte er freundlich.
»Nein, danke, das ist nicht nötig«, antwortete Märtha, die
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