Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
sie sich gründlich um und stellten den Kinderwagen an der Ecke zwischen Blasieholmsgata und Teatergata wie besprochen auf dem Gehweg ab. Gerade als Stina das Enkelchen herausheben wollte, stieß sie an die Babypuppe. Sie hielt inne.
»Märtha, wir haben einen Denkfehler gemacht. Wenn die Leute die Puppe sehen, die so echt aussieht, dann denken sie, wir wollen unser Kind aussetzen, und rennen uns hinterher.«
»Mach dir keine Gedanken. Wir ziehen das Regenverdeck über den Wagen, dann merkt es keiner«, sagte Märtha, hob den Plastikschutz über den Wagen und zog den Reißverschluss zu. »Denn ich habe keine Lust, die zu schleppen«, fuhr sie fort und zeigte auf die Babypuppe.
»Baby, heißt es«, korrigierte Stina mit scharfem Tonfall. »Aber wenn man unter dem Regenverdeck gar nichts im Wagen sehen kann, welchen Sinn hat dann die Puppe?«
»Mmmh, wir dachten wohl, dass …«, sagte Märtha und wusste auch keine Antwort. Warum war Stina eigentlich immer hinterher so schlau? Wenn es gelaufen war. »Na ja, wir …«
»Wie bitte, wir? Lass mich da raus«, sagte Stina. »Ich war dafür, Emmas Kinderwagen zu nehmen. Diese Schufte müssen denken, wir sind bekloppt! Eine Plastikpuppe! Wenn ich das organisiert hätte, dann …«
»Am besten gehen wir jetzt«, unterbrach sie Märtha. »Nach der Absprache sollen wir uns jetzt zwei Stunden fernhalten. Dann können wir die Bilder holen.«
»Einen Monet, einen Renoir und eine Plastikpuppe in einem Kinderwagen«, moserte Stina weiter.
»O ja, es handelt sich um einen schwedischen Kulturschatz, der der Nation zurückgegeben werden soll«, sagte Märtha.
Stina zuckte mit den Achseln und rastete die Bremse des Kinderwagens ein. Die Straße war leer, hier spazierte selten jemand. Die Leute liefen lieber am Strömkai entlang. Sie hob Malin heraus, wickelte eine Decke um die Kleine und setzte ihr ihren Hut auf.
»Wie süß sie ist«, sagte Märtha mit sanfter Stimme und versuchte, die Atmosphäre zu verbessern.
»Ja, weißt du, denn DIE ist ECHT«, antwortete Stina.
In der Nähe gab es kein Café, also setzten sie sich auf die Veranda des Grand Hotels. Märtha zögerte erst, denn sie machte sich Sorgen, erkannt zu werden, und dann wäre es vielleicht noch einmal so peinlich geworden wie beim letzten Mal. Aber es war kalt, und sie hatten auch keine Wahl. Sie bestellten sich eine Vorspeise, aßen jedoch kaum davon, und als sie zwei Stunden später wieder aufstanden, hatten sie richtig weiche Knie. Um sich zu stärken, hatten sie nämlich jeder ein Gläschen getrunken, und erst im Nachhinein merkten sie, dass das süße Getränk kein Likör gewesen war, sondern Wodka mit Erdbeergeschmack. Aber was machte es schon, wenn er das Selbstvertrauen beflügelte. Außerdem hatte Stina zum Kaffee belgische Schokolade gegessen und strahlte nun. Ja, sie kasperte so laut mit Malin herum, dass Märtha sie diskret bitten musste, sich etwas zu mäßigen.
»Ich hoffe, wir haben es mit einem ehrlichen Dieb zu tun, der nicht nur das Geld nimmt und darauf pfeift, die Bilder zurückzugeben«, sagte Märtha, als sie auf die Straße hinauskamen. »In dem Fall möchte ich nicht in seiner Haut stecken. Den legen wir sofort aufs Kreuz.«
»Oder er bekommt einen Karatetritt zwischen die Beine«, kicherte Stina und machte einen Schritt zur Seite.
Märtha bekam den Mund nicht mehr zu. Stina war wirklich nicht mehr zimperlich. Wahrscheinlich lag das an dem Kriminalmagazin und den vielen Krimis, die sie jetzt las. Stina hielt Malin hoch.
»Ein Diebstahl täglich macht’s im Magen erträglich«, dichtete sie. Nun war Märtha klar, dass Stina in Hochform war. Und dass sie es schaffen würden.
Bis zur Dämmerung war es nicht mehr lange hin, und es hatte angefangen zu regnen. Märtha sah vor ihrem inneren Auge schon vom Wasser beschädigte Rahmen und gewellte Bilder und beeilte sich. Ja, sie lief so schnell, dass sie Atemnot bekam. Mitten auf dem Weg mussten sie anhalten, damit Märtha in Ruhe durchatmen konnte. Dann fiel ihr ein, dass sie ja den Regenschutz am Kinderwagen hatten und wurde etwas ruhiger. Als sie um die Ecke bogen, sahen sie den Wagen dort stehen. Märthas Herz schlug schneller. Wenn der Kinderwagen da nun zwei Stunden lang einfach nur gestanden hatte und niemand gekommen war … Oder wenn an der Sache ein Haken war. Vorsichtig näherten sie sich dem Wagen, und als sie ihn fast erreicht hatten, wollte Märtha sich erst einmal mit ihrem Stock vortasten. Schließlich konnte auch
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