Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
Unterlagen herum und überlegte, was zu tun sei. Normalerweise konnten sich die alten Leute in den Seniorenheimen frei bewegen, wenn ihnen der Sinn danach stand, zumindest in der Theorie. Und die Polizei hatte weder Lust noch Personal, noch die Befugnis, sie zu suchen und aufzugreifen. Man konnte einen Sperrvermerk machen, das stimmte schon, und dann wusste man, wann sie außer Landes wollten. Aber ansonsten: keine Chance. Solange kein Angehöriger eine Vermisstenanzeige stellte und sie sich nicht strafbar machten, war das nicht die Aufgabe der Polizei. Kommissar Lönnberg lehnte sich zurück. Eigentlich gönnte er es den alten Leuten, sich ein paar schöne Tage zu machen. Vielleicht gingen sie heimlich auf Kreuzfahrt oder versteckten sich vor ein paar geldgierigen Verwandten. Tatsächlich waren ihm einige Fälle bekannt, in denen die Alten keine ruhige Minute vor den Kindern hatten, die an ihr Erbe wollten.
Er nahm den Zettel mit den Notizen und schrieb Name und Telefonnummer der jungen Anruferin auf, für den Fall, dass sie sich wieder meldete. Doch dann überlegte er es sich anders, knüllte das Papier zusammen und beförderte es in den Papierkorb. Wenn wieder jemand vom Altersheim anrief, musste er wohl die Sperrvermerke im Register veranlassen. Aber ein paar Tage Freiheit konnte man ihnen noch gönnen, bevor man sie zwang, in ihr Heim zurückzukehren.
Die Männer waren langsam ungeduldig geworden. Sie waren mit ihren nassen Handtüchern herumspaziert und hatten die Bilder gesucht. Die Prinzessin-Lilian-Suite war so groß wie eine geräumige 5-Zimmer-Wohnung in der Stadt und voller Ecken und Nischen. Also mussten sie sich geschlagen geben. Am Ende gingen sie zurück in die Sauna, duschten und zogen sich an. Sie waren kaum wieder zurück, da hörten sie schon Stinas fröhliche Stimme.
»Nicht gleich aufgeben, probiert es noch einmal!« Ihre Augen strahlten.
Weil nach einer Weile noch immer niemand auf das Versteck gekommen war, machte sie ein Spiel daraus und setzte zur Belohnung eine große Schale Schokoladentrüffel aus. Anna-Greta schürzte die Lippen, Snille zog die Augenbrauen hoch, und Kratze lächelte vor sich hin. Märtha wiederum freute sich daran, wie munter ihre Freundin auf einmal war und vor Ideen nur so sprudelte. Das lag sicher daran, dass sie das Heim verlassen hatten und sie sich mit Kratze so gut verstand. Vielleicht hatte sie sich sogar ein bisschen verliebt?
»Da es schon so viel Arbeit war, die Bilder zu klauen, hoffe ich inständig, dass du sie nicht so gut versteckt hast, dass wir sie gar nicht finden«, sagte Kratze.
»Ach was. Aber du müsstest doch Phantasie genug haben, nach deinen vielen Weltreisen«, antwortete Stina.
Kratze reckte sich und sah sich mit Kennermine um. Er wollte Stina so gern den Gefallen tun und die Bilder finden. Er war gewiss kein großer Kunstkenner, doch während seiner Zeit als Seemann war er in der einen oder anderen Hafenstadt schon einmal ins Museum gegangen. Er begann, sich die Bilder an den Wänden genauer anzusehen, trat näher heran, nahm sie ab, schaute nach, ob etwas darunter war. Dann unterbrach er seine Aktivitäten. Über dem Flügel hingen zwei Bilder, die ihm bekannt vorkamen. Auf einem waren ein Mann und eine Frau zu sehen, die in einem Café miteinander sprachen, und auf dem anderen waren alte Segelboote auf einem Fluss abgebildet. Es war nur so, dass der Mann auf dem ersten Bild, das an den Renoir erinnerte, einen komischen Hut und eine Brille trug und lange Haare hatte. Und auf Monets Gemälde von der Schelde befand sich ein kleines, modernes Segelboot, das dort nicht hingehörte. Jetzt war ihm die Sache klar: Stina hatte die Bilder auf ihre ganz eigene Weise versteckt. Ein zärtliches Gefühl stieg in ihm auf. Die Kleine hatte die Gemälde einfach mit Aquarellfarbe entstellt – zwar nicht sehr, aber immerhin genug, dass es den Betrachter in die Irre führte. Sogar die Signaturen hatte sie verdreht. Er inspizierte die rechte untere Ecke. Anstelle von Renoirs Namenszug las er ›Rene Ihre‹. Und Monet hatte sie umgetauft in ›Mona Ed‹.
24
Am Tag nach dem großen Diebstahl saßen die fünf in der Bibliothek des Grand Hotels und lasen die Tageszeitung. Hier und da hörte man Geraschel, Getuschel und leises Lachen, ansonsten war es ruhig. Keiner von ihnen wollte sich bei dieser amüsanten Lektüre stören lassen, sie genossen jedes einzelne Wort. Doch dann konnte Märtha nicht länger an sich halten.
»Habt ihr das gelesen, hier
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