Wir haben gar kein Auto...
mal stellen wir das Fahrrad umgedreht mit Lenker und Sattel auf den asphaltierten Weg. Die Räder sind nun in der Luft, und uns ist klar, der hintere Reifen muss jetzt von der Felge runter. Zu diesem Zwecke hat uns unser souveräner Radlmann zwei Plastikgriffe mitgegeben, die man rechts und links einklemmt, um dann mit Verve den Schlauch von Felge und Reifen zu trennen. Dies mit einer Bewegung rundherum. Ja, daran kann ich mich erinnern.
Bruno agiert anfänglich noch unsicher, aber dann geht es ganz gut, nur leider stehen wir jetzt vor einem anderen Problem. Speiche und Felge gehen nicht von der Achse, weil das Kettenlager im Weg ist, womit wir die Gänge schalten. Uns hatte man in München den Vorderradwechsel gezeigt, klar, das ging ja auch schneller, und jetzt müssen wir all unsere Intelligenz nehmen und dieses logistische Problem praktisch lösen. Ich glaube, noch nie haben sich zwei Menschen sooo dämlich angestellt wie wir. Richtig doof und völlig fassungslos stehen wir vor diesem Radl, probieren es erst so und dann andersherum, und nichts, aber auch gar nichts erweist sich als die richtige Lösung. Die Radmutterin der Mitte, wo die Felge aufgehängt ist, lässt sich nicht lösen, und ein Hebel, den man offensichtlich umlegen muss, ist störrisch wie ein Esel. Bruno legt sein volles Gewicht darauf, und ich sehe ihn schon abbrechen.
»Mir reichtâs! Ich rufe jetzt in München in dem Laden an, der Typ soll uns das erklären«, sage ich zu meinem verschwitzten Freund.
Bruno ist das peinlich, mir dagegen ist nichts mehr peinlich, Hauptsache, wir kommen hier irgendwann mal wieder weg. Es ist schon 17.30 Uhr, und mindestens fünfzehn Kilometer sind es noch bis Füssen, und niemand, noch nicht mal ein Bauer oder wenigstens ein kleiner Bauer, kommt hier vorbei. Ich tippe die Nummer in mein Handy.
»Ja, Schmitz hier, Radlcenter München, womit kann ich dienen«?
Dienen?, durchzuckt es mich, ja, das wäre schön, aber wer tut das heutzutage noch gerne? Ich schildere unsere prekäre Lage.
So werden uns auf gutturalem Bayerisch, welches ich wiederum in schlechtes Italienisch oder Englisch für Bruno übersetze, die nötigen, ach so einfachen Handgriffe erklärt. Klingt alles ganz logisch, ist aber nicht so. Wir kriegen es nicht hin. Ich rufe wieder an und bemerke eine winzig kleine Ungeduld am anderen Ende. Wir versuchen es noch einmal, aber es klappt nicht. Erneuter Anruf bei dem mittlerweile leicht verzweifelten Schmitz, der uns â unausgesprochen â für Volltrottel hält, recht hat er, aber das kann ich ihm nicht sagen. Nach dem dritten Versuch, an dem wir wieder scheitern, setzt sich Bruno auf sein Fahrrad, wo sich der Gummireifen schlabbernd von der Felge gelöst hat, und versucht so, das Rad herauszudrehen.
Ich schreie auf.
»NNNNNNNNOOOOOOOOOOO, tu distruggi!«
So, jetzt sind wir kurz vor ânem Nervenzusammenbruch.
»Ich weià verdammt genau, was ich zu tun habe!«, schreit Bruno zurück.
»Ganz offensichtlich nicht!«, brülle ich.
Und dann kommt er, der Engel. Kräftig und sonnengebräunt, joggend, mit sympathischem Gesicht.
Ich laufe ihm entgegen. »Hilfe, Hilfe, kennen Sie sich mit Reifenpannen aus?«
Er kennt sich aus, ist Mountainbiker, Jogger, Sportsmann, klar doch.
Wie soll ich es sagen? Er braucht keine fünf Minuten für den Wechsel. Obendrein pumpt er auch noch den neuen Schlauch auf mit unserer lächerlich kleinen Pumpe, die man uns gegeben hat. Auch er ist über unser Werkzeug einigermaÃen amüsiert, wünscht gute Weiterfahrt und läuft weiter, als wäre nichts geschehen. Ich schwanke zwischen Heulen vor Dankbarkeit und lautem Lachen über uns beide.
»Klappe halten, Speidel«, sag ich mir, »und so tun, als ob gar nichts Besonderes gewesen wäre. Zeig ihm die Landschaft, rede mit ihm übers Essen, welchen Wein er gerne heute Abend trinken will, wenn wir ankommen, aber erwähne bloà nicht, dass du es schon von ihm erwartet hättest, dass er die Situation männlich in den Griff bekommt. Halt einfach mal die Klappe, Speidel!«
Ich weià ja, dass er leidet! Und der liebe Radlheilige möge uns vor einer weiteren Reifenpanne beschützen, denn so ganz kapiert hab ich das Verfahren immer noch nicht, und ich befürchte, Bruno auch nicht. Aber zu fragen trau ich mich nicht. Also treten wir der mittlerweile untergehenden Sonne
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