Wir haben gar kein Auto...
nichts Hoffnungsvolles.
Vorsichtig, Minuten vergehen, bis ich mich wieder in eineleicht eingeknickte Vertikale hochgeschraubt habe, rufe ich Bruno.
Der bleibt ungerührt, er wäre krank:
»Sono raffreddato.«
Das ist wieder mal typisch, wann immer ich ein bisschen Mitleid bräuchte, beansprucht er sofort das Gleiche für sich â und wenn er dafür behaupten muss, er sei erkältet. Ich überhöre einfach sein Gejammer und sage nichts mehr. Packe meine Taschen, ziehe mich an und humple runter zum Frühstück. Mein Rücken tut verdammt weh, und jede Bewegung überlege ich vorher gründlich. Meine groÃe Angst ist, nicht weiterfahren zu können, aber mein Verstand sagt mir, dass Fahrradfahren eigentlich vom Bewegungsablauf her genau das Richtige sein müsste. Nur bitte keine Steigungen heute, die würde ich nicht packen.
Unsere zauberhaften Gastgeber schmeiÃen uns buchstäblich um Punkt 10.00 Uhr aus dem Haus. Da stehen wir nun im Nieselregen und bei Windstärke acht, Gegenwind natürlich, wie sich gleich noch herausstellen wird. Meine Sympathie für den Reschenpass wird gröÃer und gröÃer. Ihr lieben Laienradler, ich kann euch nur raten: Meidet Nauders, denn es ist keine Reise wert. Wenn man schon dort vorbeimuss, dann bitte im Affentempo.
Eingehüllt in unsere Regenkondome, Mützen tief ins Gesicht gezogen, die Augen gegen den Regen mit Brillen geschützt und Radlerhandschuhe an, kämpfen wir uns, natürlich vorerst wieder mal aufwärts, gen Italien.
Ich bin mir sicher, der einzige Grund, warum wir bei diesem Schietwetter weiterradeln, ist der, dass Bruno die
Tricolore Italiana
in der Ferne wehen sieht. Er ist bestimmt davon überzeugt, dass sich bei Grenzüberschreitung das Wetter schlagartig ändern wird. In der Tat gibt es schon kleine sichtbare Lücken zwischen den dunklen Wolken, also können wir doch hoffnungsfroh sein.
Am Reschensee angekommen, fasziniert uns die bleifarbene Stimmung ungemein. Bruno packt seine Kamera aus und hält mir sein Minimikrofon vor die Nase.
»Sag bitte was zur Historie dieser Gegend und warum da ein Kirchturm aus dem Wasser schaut«, fordert er mich auf.
Ich halte meine Mütze fest und stelle mich in Position, Gesicht in Richtung blauschwarze See. »Ja, das war folghuuhuuhuu aÃen, man brahuuhuu einen Stahuhuuuhuu ee und deswehuuhuu.«
Bruno filmt meine ganze Erzählung über den nördlichsten Zipfel Italiens, übrigens gewissenhaft recherchiert nachzulesen bei Wikipedia, womit ich mir jetzt die erneute Schilderung erspart hätte. Später wird er feststellen, dass er rein gar nichts verstanden hat â aber nicht deshalb, weil er eh kein Deutsch spricht. Dieser Wind und das Licht um uns sind so toll, dass wir uns beim Betrachten der völlig verrückten Windsurfer, die es hoch über die Wellen wirft, sagen, dass wir uns eigentlich doch ganz lieb haben.
Nachdem die widerspenstige Zähmung zweier Holzköpfe gelungen ist, radeln wir fröhlich links am See entlang, unter Betrachtung des Naturschauspiels, welches uns geboten wird. Man soll es kaum glauben, langsam, aber stetig legt sich der Wind, und die Lücken zwischen den Wolken werden gröÃer und gröÃer. Die Windjacke wird aufgeknöpft und die lange Hose bis zum Knie hochgerollt.
Mein Ischiasnerv tut immer noch höllisch weh, aber ich sag nichts, weil es eh nichts bringt. Wenn ich stetig in die Pedale trete, geht es mir am besten. Bruno ist guter Laune, hat er es nicht gesagt, in Italien wird alles besser? Recht hat er, und grad schön ist es. Vorbei am Wasserkirchturm St. Anna, hinein ins zauberhafte Vinschgau, durch welches wir die restlichen Tage bis Meran fahren werden. Lustig, dass ab jetzt die Wegbeschreibungen immer in zwei Sprachen sind. Ichradle durch Graun, der Bruno durch Curon, rechts kann ich die Elferspitze sehen, der Bruno sieht
La cima undici.
Ich sage ihm, dass aus dem Stausee die Etsch herausflieÃt, und er protestiert: »So ein Blödsinn, das ist
ilâ Adige.«
Als dann der malerische Weg auch noch Richtung Burgeis stetig abwärts geht, radelt Bruno flott vor mir her, nach Burgusio.
Die Landschaft sowie das Wetter werden immer schöner, und die Via schlängelt sich an der Etsch entlang, durch Apfelplantagen mit riesigen gelben und roten Ãpfeln, die nur darauf warten, in den nächsten Wochen gepflückt zu werden. Zwetschgen- und
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