Wir haben gar kein Auto...
wieder.
Ich kehre auf die StraÃe zurück. Jutta, sichtlich getroffen von der Aggressivität meiner Worte, wartet auf der Gegenfahrbahn. Dies ist einer jener Augenblicke, in denen wir es in »stillschweigendem Einvernehmen« vorziehen, nichts zu sagen, um nicht zu streiten. Wir fahren die gut zehn Kilometer zurück nach Pfunds. Völlig erschöpft und schweiÃgebadet, machen wir eine Pause, um einen Kaffee zu trinken und schweigend zu grübeln. Ich über Juttas Eingebung, nicht der Karte zu vertrauen und ihren eigenen Kopf durchsetzen zu wollen, sie über die Aktion mit der Brille.
Wir schlieÃen uns einer kleinen Gruppe von Mountainbikern an und kehren zu der Schweizer Zollstation zurück, wobei wir diesmal auf der StaatsstraÃe bleiben, die in Richtung des Kantons Graubünden nach Martina führt. Dort wollen wir übernachten. Alles in allem kann ich Jutta nicht böse sein und fühle mich irgendwie sogar schuldig. SchlieÃlich hat sie sich bisher noch nicht einmal verfahren. Ich schlieÃe zu ihr auf und küsse sie lange. Das ist die schönste Art, Jutta um Entschuldigung zu bitten. Sie erwidert den Kuss mit unendlicher Sanftheit. Danach radeln wir weiter.
In Martina stellen wir fest, dass das einzige Hotel Betriebsferien macht. So ein Mist! Ich komme um vor Hunger, ein Brötchen mit Bratwurst würde mir schon reichen. Wir sind wirklich zu müde, um weiterzufahren, daher bleibt uns nichts anderes übrig, als ein Taxi zu rufen und nach Nauders zu fahren. Trotz des Kusses ist der Streit noch nicht ganz vergessen. Den Kopf gegen das Wagenfenster gelehnt, kehre ich in Gedanken zu der Leitplanke zurück. Was ist da eigentlich genau geschehen?
»Lâamore non è bello se non è litigarello â
Liebe ohne Streit ist nicht schön«, besagt eine italienische Volksweisheit und unterstellt, dass es keine auf Liebe gegründete Beziehung ohne Streit geben kann. Jutta und ich streiten wirklich seltenund fast nie aus banalen Gründen. Sicher, von Zeit zu Zeit geraten auch wir uns darüber in die Haare, wo die schmutzige Schöpfkelle hingelegt werden soll, nachdem einer von uns die Tomatensuppe umgerührt hat, wegen der Teetasse, die den ganzen Tag im Spülbecken stehen geblieben ist, wegen des Mülls (»Ich dachte, du hättest ihn rausgebracht!«), wegen des nicht weggeräumten Bügelbretts (manchmal vergesse ich es eben), wegen der halb ausgedrückten Zahnpastatube, deren Verschluss verlorengegangen ist (was mir durchaus häufig passiert).
Trotz alledem ist es nur schwer vorstellbar, unsere Liebe könnte ernsthaft darunter leiden, dass wir uns, wie es so schön heiÃt, »um des Kaisers Bart streiten«. Dafür kommt es vor, dass wir beide auf stur schalten â was etwas ganz anderes ist. Man beharrt auf bestimmten kleinen Verhaltensweisen, als hinge vom Sieg oder besser vom Disput die Stabilität unseres Seins ab. Wenn man es recht überlegt, gibt es keinen triftigen Grund für einen Streit, sondern einfach nur zwei willensstarke Menschen, die sich gegenseitig herausfordern: »Komm zurück!« â »Nein, ich klettere jetzt über die Leitplanke.«
Wer ist da wohl sturer?
Analysieren wir die Phasen des letzten eigensinnigen Beharrens, und versuchen wir, es herauszufinden.
1)Jutta wählt eine bestimmte Strecke.
2)Bruno bringt eine gewisse Unschlüssigkeit zum Ausdruck.
3)Jutta vertraut ihrer Intuition.
4)Bruno traut eher der Karte.
5)Jutta bemerkt, dass sie sich im Weg geirrt hat, und will umkehren.
6)Bruno verliert seine Brille und wird wütend.
7)Jutta fühlt sich verletzt und schweigt beleidigt.
Gehen wir mal von der These aus, dass Jutta immer recht haben will. Das ist keine Taktik, um zu dominieren, und noch viel weniger, um Bruno hörig zu machen. Sagen wir, es ist eine Neigung, eine Manienbsp;â¦Â entweder â oder.
Jutta hat eine Art, vorausschauend zu denken, und daher neigt sie dazu, das Leben der anderen zu organisieren. Bruno ist ebenso eigensinnig, daher erträgt er ihre Neigung nicht, die Dinge nur von einem einzigen Standpunkt aus zu betrachten und die Ideen anderer sogar dann noch zu ignorieren, wenn sie sich als absolut plausibel erwiesen haben. Jutta will den Angaben der Karte nicht folgen, Bruno will um jeden Preis seine Brille zurückhaben. Jutta ist ungeduldig. Beide wollen das letzte Wort haben.
Grundsätzlich
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