Wir haben keine Angst
wird«, sagt er nüchtern und geht weiter ins Wohnzimmer.
Gerd und Elisabeth nicken verwirrt. »Nee, gut, also ernsthaft«, sagt Bastian und dreht sich zu seinem Onkel. »Ich muss jetzt nur noch meine letzten Arbeiten schreiben. Und dann hätt’ ich vielleicht noch Bock auf Promovieren. Oder auf ’ne Stelle bei ’ner NGO . Irgendwas so in Richtung Politikberatung. So der Bereich halt so …«, nickt Bastian.
Sein Onkel schaut ihn bewundernd an. »Na, also, ich find das jedenfalls toll, wenn du dich für etwas so begeisterst … Also, dass du da was gefunden hast, was du so über Jahre durchziehst. Ich könnt das ja nicht«, er schaut in sein Prosecco-Glas und schüttelt mit dem Kopf. »Ich bin ja gleich langweilig Arzt geworden. Da hat man dann ja auch keine Zeit mehr, rechts und links zu schauen, ne.«
Bastian nickt verständnisvoll. »Du, ich mach jetzt mal weiter die Garçon-Nummer«, sagt er. »Ich hol mal neuen Sekt aus dem Keller.« Er zwinkert Gisela zu, die gerade an den Tisch getreten ist: »Und du bleibst schön hier stehen, Geburtstagskind.«
Bastian tritt auf die Terrasse. Er fröstelt. Es ist nasskalt, über ihm hängen riesige Regenwolken, die den Mond verdecken. Bastian würde jetzt unglaublich gerne eine rauchen. Aber seine Eltern wissen nicht, dass er raucht. Er blickt in den Garten. Die leere Hollywoodschaukel mit der riesigen kitschigen rosa Schleife wippt langsam auf und ab.
Bastian kickt kleine Steinchen von der Terrasse. Er denkt daran, wie er früher hier mit Malte und Michi die Betonplatten mit Kreide bemalt hat. Wie er vorne bei den großen Blumentöpfen mit seinem Vater immer Kirschkernweitspucken geübt hat. Wie stolz er war, als er den halben Weg zum Baumhaus geschafft hat, weil er damit den Rekord gebrochen hatte. Wie sein Vater ihn danach wochenlang immer nur peinlich »Kirschenking« genannt hatte.
Durch die angelehnte Terrassentür wehen Gesprächsfetzen nach draußen. Untermalt vom Köln Concert, das im leeren Arbeitszimmer für niemanden spielt, hört Bastian seinen Onkel über seine nahende Verrentung philosophieren, »… wir haben dann ja jetzt
endlich
einmal Zeit …«
»Wir planen ja schon eine richtig große Tour …«, übernimmt seine Frau. »Da gibt es so ein süßes Künstlerhotel in Ahrenshoop. Und fürs Frühjahr haben wir uns die Prignitz vorgenommen, da gibt es ja so wunderbare Landschaften …«
»Ja, das soll ja so toll sein da«, bestätigt Giselas Stimme. »Elke ist da ja auch mal an der Elbe entlang …«
Bastian wendet sich ab. Er atmet in die Nacht.
»Wo ist eigentlich Bastian schon wieder?«, hört er Michi laut fragen. Bastian seufzt. Er kramt in seiner Hosentasche nach dem Kellerschlüssel. Bevor er wieder hineingeht, spuckt er in den Garten.
Er schafft es knapp bis zum Baumhaus.
*
»Gerade auf diesen Partys hab ich so den Eindruck, dass sich alle so mit ihren Kindern schmücken«, erklärt er Herrn G., »Dass das ihre Juwelen sind, mit denen sie PR für sich selber machen.«
»Nun«, sagt Herr G. und zuckt mit den Achseln, »Eltern sind eben stolz auf ihre Kinder, meinen Sie nicht?«
Bastian kaut am Nagel seines Daumens herum. »Haben Sie eigentlich Kinder?«, fragt er Herrn G. beiläufig.
Herr G. lächelt nur.
»Naja, ich mein, es ist ja auch richtig, wenn die stolz sind«, räumt Bastian ein, »aber irgendwie ist das dann immer gleich so extrem … Mir ist das zumindest dann zu
extrem
. Und deshalb bau ich dann halt sofort diese Schutzwand auf.«
»Was für eine Schutzwand?«, fragt Herr G.
»Weiß nicht«, Bastian runzelt die Stirn, »das ist so ’ne Wand … ja, gegen was eigentlich?«, er zuckt mit den Schultern. »Gegen zu viel Nähe, glaub ich. Gegen zu viel Aufmerksamkeit. Und gegen mich selber auch so’n bisschen, vielleicht«, er nickt. »Ja, irgendwie so.« Seine Hände luftjonglieren wieder. »Da krieg ich dann halt die Balance schon wieder nicht hin. Entweder ich fühl mich wie ein Held oder eben wie der Voll-Loser, der da nicht hingehört. Was dazwischen geht scheinbar nicht.«
»Geben Ihre Eltern Ihnen denn das Gefühl, dass Sie der Voll-Loser sind?«
Bastian schüttelt heftig den Kopf. »Nee. Und deshalb tut’s mir dann auch immer so leid, dass ich nicht länger dableib. Aber ich
kann
dann einfach nicht. Mir wird immer alles zu viel da: Diese unglaublich interessierten Fragen, diese ganzen randlosen Brillen, dieses Gelaber über grünen Tee und Pilates und Darmspiegelungen und Chagall-Ausstellungen und
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