Wir haben keine Angst
meldest du dich bei uns, ja?«, sagt Reinhard vorsichtig.
Bastian nickt. »Nee, nee, das passt.« Ein Glas schäumt über. »Scheiße«, knurrt er.
»Ist doch nicht schlimm«, sagt Reinhard schnell. »Ich hol dir einen Lappen«, er bückt sich langsam zur Schublade hinunter. Auf seiner Glatze spiegelt sich das Küchenlicht.
»Nee«, sagt Bastian gereizt, »lass, Vadder, nicht mit deinem Rücken! Ich mach das, ich regel das. Geh du mal wieder zu Michi an die Tür. Ich krieg das hier alleine hin.« Er schiebt seinen Vater aus der Küche zur Tür und beginnt unter der Spüle nach einem Wischtuch zu suchen.
Plötzlich donnert von draußen Musik ins Haus. Bastian tritt ans Fenster. Auf dem Beifahrersitz seines Wagens in der Einfahrt kniend und von da aus ungeschickt durch die offene Autotür mit Konfetti um sich werfend, beschallt sein Onkel in ohrenbetäubender Lautstärke die ganze Nachbarschaft mit den Beatles.
»
Alter
Schwede«, flüstert Bastian und lehnt sich weiter aus dem Fenster, um das ganze Gartenszenario in den Blick zu kriegen.
»Du wirst zwar noch nicht sixty-
four
«, brüllt Elisabeth, die neue Frau von Bastians Onkel von der Wiese vor der Terrasse aus. Im Takt der Musik wippend versucht sie, halb verdeckt hinter einem riesigen, mit Bettlaken behangenen Etwas, eine Wunderkerze anzuzünden. »Aber das Lied passte einfach
so gut
zum Geschenk für dich und Reinhard … tadaa!«, schreit sie, als die Funken endlich sprühen, und zieht das Tuch von dem verhüllten Geschenk. »Ach neeeee!«, kreischt Bastians Mutter von der Terrasse aus durch den Garten und schlägt die Hände zusammen. »Ach nee, eine
Hollywoodschaukel
! Sach’ mal, ihr
spinnt
ja aber auch!«
Übermütig kichernd zieht sie Bastians Vater zur Wiese. »Die wünsch ich mir doch schon, seit ich ein Kind bin, Reinhard! Guck mal! Wie furchtbar kitschig! Wie wunderbar spießig! Schau mal,
großartig
, oder?« Reinhard stolpert über die nasse Wiese hinter seiner Frau her. »Höhö«, lacht er schüchtern.
»Tsss«, Bastian lächelt leise in den nachtdunklen Novemberabend. Seine Fossilieneltern schaukeln jetzt. Sie sehen unfassbar süß aus, findet er, wie sie da zu zweit ihre Füße in die Luft heben. »Die Silver-Ager, ey.« Er schüttelt den Kopf, schließt das Fenster und ext ein Sektglas.
*
Wenn wir ehrlich sind, wissen wir es schon seit einer Weile: Eltern sind auch keine Lösung. Egal, wie schön und lustig und behütet die Treffen mit ihnen sind – wir können uns dabei in letzter Zeit nicht mehr ganz so tief fallenlassen wie früher.
Denn irgendetwas zwischen uns und unseren Eltern hat sich im Laufe der Jahre ein bisschen verändert. Irgendetwas in unserer Beziehung ist trotz oder vermutlich sogar wegen der gleichbleibenden Nähe ein bisschen gekippt. Auf den ersten Blick fällt das gar nicht mal so sehr auf: Außer, dass irgendwann einmal das Kindergeld ausgelaufen ist, einige von uns es seitdem tatsächlich geschafft haben, den Dauerauftrag vom Konto ihrer Eltern zu stoppen und ein paar Versicherungen auf sich umschreiben zu lassen, ist alles wie zuvor. Wie immer kriechen wir, wenn uns alles um uns herum zu viel wird oder wir einfach nur Lust darauf haben, in ihre Höhlen zurück. Und wie immer, eigentlich sogar mehr als je zuvor, telefonieren, reisen und kochen wir zusammen mit unseren Eltern, wie man das mit alten Freunden eben so macht.
Es ist nichts Äußerliches, das jetzt anders ist. Was sich verändert hat, ist das Sorgeverhältnis zwischen uns. Es ist jetzt nicht mehr einseitig. Sondern ausgeglichen. Mittlerweile sorgen sich nämlich nicht mehr nur unsere Eltern um unsere Rückenschmerzen. Sondern wir uns auch um ihre. Nicht nur sie machen sich Gedanken darum, ob wir klarkommen, ob es uns gutgeht, ob wir bedrückt sind, wie unsere Beziehung läuft, wie es mit unseren Schlaf- oder Selbstbewusstseinsproblemen steht, wie es unseren Freunden geht oder welche Dinge uns sonst noch so beschäftigen. Sondern auch andersherum. Es sind nicht mehr nur unsere Eltern, die den Gedanken daran kaum ertragen können, dass wir manchmal durchhängen oder traurig sind und uns einsam fühlen. Sondern auch andersherum. Denn nicht mehr nur sie fühlen sich für uns verantwortlich und fragen sich, wie sie uns schützen, aufmuntern oder uns davon, dass die Welt doch ein heiler, schöner Ort ist, überzeugen können. Sondern auch andersherum.
Dass das alles so geworden ist, liegt – richtig – an niemand anderem als an unserem
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