Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauer Nina
Vom Netzwerk:
Angstmacher Nummer vier. Aber über den wollen wir ja nicht reden. Und zwar wirklich nicht. Wir wollen weder über ihn sprechen noch über ihn nachdenken. Wir wollen eigentlich echt nur eins: ihn verdrängen.
    Dafür, dass wir sonst so denkversessen sind, gelingt uns das sogar erstaunlich gut.
    *
    »Also«, setzt Annas Vater an. »Die Kollegin von der Ulla«, er beugt sich langsam über den Wohnzimmertisch zu Anna hinüber, »ich habe die ja jetzt endlich auch mal getroffen.« Wolfgang gibt seiner gesenkten Stimme einen konspirativen Unterton, als könnte ihn jemand beim Lästern erwischen. »Weißte, Linchen, und das is’ so ’ne totale Dinkelfrau. So ’ne Tofufrau! Weißt du, so ’ne grauslich genussfeindliche, die nur Körner isst.« Er stößt Anna leicht mit seinem Ellenbogen an. »Na, und
die
, die geht jetzt also immer Nordic Walken«, er hebt den Zeigefinger. »Jeden Morgen kommt die hier entlanggelaufen, Punkt Viertel nach sieben. Mit so Skistöcken. Kannst du dir das vorstellen? Wie das aussieht, Linchen?«, er rudert mit den Armen durch die Luft. »
So
geht die. Ganz stramm. Und nickt nur ganz kurz und ganz korrekt, wenn man mit dem Fahrrad an ihr vorbeidüst. So
verbissen
guckt die, weißt du?«, er kneift böse seine Augen zusammen.
    Anna lacht.
    Ihre Mutter versucht es zu unterdrücken. »Ach, lass sie doch, Wolfgang! Das ist ja eigentlich wirklich gesund, was die macht! Würde dir sicher auch guttun. Ist gut für die Gelenke.«
    »Ja, aber das ist doch
demütigend
, Ulla! Mit diesen Stöcken!«, Wolfgang reißt beide Hände über seinen Kopf. »Wir sind doch nicht im Harz hier! Oder irgendwo in einer
Seniorenresidenz
in Florida! Das ist doch
entwürdigend
! Und wie die da so uniformiert in Paarkluft mit diesen Regenjacken, diesen
geschlechtslosen
Rentnerjacken durch den Hundepark marschieren! Immer einer neben dem anderen! Das ist ja auch so eine spießige Normierung, weißt du? Das ist eine … eine
sektuöse Struktur
ist das!« Wolfgang reißt gespielt aufgeregt seine Augen auf und fuchtelt mit seinen Händen durch die Luft. »Das sind Wellness-Faschisten sind das! Nichts anderes! Die sind
gefährlich
, Ulla!«
    Ulrike schmunzelt. Sie zieht ihre dunkelblaue Marc-O’Polo-Kaschmirjacke enger um sich, draußen hagelt es. »Möchtest du noch einen Schluck Wein, Krachelinchen? Du bist immer noch ganz blass«, fragt Wolfgang mit normaler Stimme und gießt Anna, ohne eine Antwort abzuwarten, nach.
    »Wolfgang, dreh doch bitte mal die Heizung hoch«, sagt Ulrike. »Wie geht’s eigentlich Marie?«, fragt sie Anna.
    Anna bricht sich ein großes Stück von der Tafel dunkler Schokolade mit Mandel- und Orangensplittern ab. »Die ist gestresst«, sagt sie mit vollem Mund und zuckt mit den Schultern. »Ich hab nur heute Morgen kurz mit ihr gesprochen. Sie grüßt euch natürlich.«
    »Hat die jetzt eigentlich auch mal einen Freund?«
    »Nein, Mama, hat sie
nicht
. Das hätt’ ich doch längst erzählt!«
    »Ja, ich dachte ja nur, du hattest da ja mal einen aus ihrer Firma erwähnt.«
    »Ach so, der Layouter? Das war ein Totalausfall.«
    »Haha, ein Totalausfall«, lacht Wolfgang, der an der Stereoanlage herumfummelt, die er mit Anna letzte Woche an seinen Computer angestöpselt hat.
    »Bring Marie doch mal wieder mit«, sagt Ulrike aufmunternd. »Dann mach ich noch mal dieses Kokos-Koriander-Limetten-Huhn. Das mochte die letztes Mal so gerne. Oder diesen Pangasius mit Fenchel, der hat ihr doch auch so gut geschmeckt, weißt du noch?«
    Anna nickt.
    »Ulla, wie geht das blöde Teil hier aus?«, ruft Wolfgang. »Der spielt ja immer dasselbe Lied, seit Tagen schon. Linchen, der spielt immer nur das erste, ich versteh das nicht.«
    Viel zu laut fängt Paolo Conte an zu singen. Hektisch dreht Wolfgang den Volume-Regler nach unten.
    »Du musst das Repeat rausnehmen, Papa«, sagt Anna beiläufig, »Steuerung, Wiederholen, Wiederholung Eins und da dann auf Aus gehen. Oben, in der Menüleiste bei iTunes.« Sie bricht sich noch ein Stück Schokolade ab.
    »Helga will ja jetzt den Jakobsweg laufen«, sagt Ulla zu Anna und spießt mit dem Käsemesser ein großes Stück Ziegengouda auf. »Der ist lecker, musst du auch mal probieren, Mäuschen. Den kauf ich jetzt immer bei Edeka, der ist richtig gut. Auf den kleinen Italiener hier fall ich nämlich nicht mehr rein, das ist Nepp.«
    »Jawoll, Nepp!«, ruft Wolfgang durch »Azzuro« hindurch. »Jetzt spielt er wieder andere Lieder, ich glaube, ich habe das Knöpfchen

Weitere Kostenlose Bücher