»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
blockierte Triebwerke – all das lässt mich im Allgemeinen kalt. Auch Turbulenzen jagen mir keine Angst ein. Trotzdem hatte ich schon mehr als einmal während eines Flugs die Hosen voll. Ich schäme mich, es zuzugeben, aber mein mit Abstand schlimmster Flug war einer, auf dem rein gar nichts passierte. Das einzige Problem war ein unbestimmt-mulmiges Gefühl, das mich beschlichen hatte. Bald war ich davon überzeugt, dass wir alle sterben würden. Richtig nervös wurde ich dann beim Landeanflug auf Los Angeles, als ich zufällig aus dem Fenster sah und feststellte, dass wir ungewöhnlich tief über dem Meer flogen. Es war drei Uhr früh. Die Vorstellung, die Maschine könnte ins Meer stürzen, ist mein persönlicher Alptraum, nicht zuletzt, weil ich eine miserable Schwimmerin bin. Aber das war an diesem Morgen nicht der Hauptgrund für meine Angst. Meine größte Sorge war, dass um diese Uhrzeit nicht genügend Helfer wach sein könnten, um all diese Menschen vor der kalifornischen Küste aus dem Wasser zu ziehen. Ganz zu schweigen davon, dass es Dezember war. Ich ging davon aus, dass uns in dem eiskalten Wasser höchstens eine Minute bleiben würde, um nach dem ersten Schnappreflex die Atmung unter Kontrolle zu bringen und nicht weiter zu hyperventilieren. Nach höchstens zehn Minuten würden trotz heftiger Schwimmbewegungen unsere Glieder taub werden und nicht länger gehorchen, ehe eine Stunde später die Unterkühlung zur Bewusstlosigkeit führen und eine weitere Stunde danach der Tod eintreten würde. Die Maschine verfügte über zwei aufblasbare Notrutschen, von denen ich mir jedoch nicht sicher war, ob sie aufgehen würden. Und selbst wenn sie tatsächlich funktionierten – würde ich rechtzeitig das seitlich angebrachte Messer finden und das Seil durchtrennen können, bevor die Maschine unterging? Jedenfalls nicht, wenn ich ins Wasser fiel und wegen des ganzen Kerosins nichts sehen könnte.
Außerdem hatten sie uns im Ausbildungslehrgang nichts über den Umgang mit Haien beigebracht! Oh, ich konnte nur hoffen, dass ich mir beim Rasieren der Beine an diesem Morgen nicht zufällig die Haut aufgeritzt hatte! Stumm begann ich zu beten und Gott Dinge zu versprechen, die ich im Leben nicht einhalten konnte. Irgendwann gelangte ich zu dem Schluss, dass ich, wenn ich tatsächlich Opfer eines nächtlichen Haiangriffs werden würde, meine Karriere als Flugbegleiterin wohl getrost abschreiben konnte, da es meines Wissens keine einbeinigen Flugbegleiterinnen gab. Inzwischen habe ich allerdings sogar tatsächlich eine solche kennengelernt. Sie trägt eine Prothese und fliegt damit seit dreiundzwanzig Jahren. Ich erwähne das nur, um zu verdeutlichen, dass man selbst in den schlimmsten Situationen nie die Hoffnung aufgeben sollte. Denn das, meine lieben Leser, ist genau der Punkt, auf den ich hinauswill. Aber Sie interessiert vermutlich viel mehr, wie dieser Flug endete. Tja, kurz gesagt ging die Landung reibungslos über die Bühne. Später erfuhr ich, dass aufgrund einer fünfstündigen Verspätung und einem anschließenden Maschinenwechsel die Gepäckabwicklung vergessen hatte, das Gepäck einzuladen, was sich auf das Gewicht und folglich auch auf das Flugverhalten der Maschine ausgewirkt hatte. Deshalb hatte sich auch die Landung so merkwürdig angefühlt. Allerdings hätten wir, wie mir später ein befreundeter Pilot erklärte, in Wahrheit viel höher und nicht tiefer fliegen müssen.
Täglich reisen über eine Million Menschen mit dem Flugzeug. Laut FAA kam es zwischen 1980 und 2008 aufgrund von Turbulenzen zu insgesamt 234 Unfällen mit 298 Schwerverletzten und drei Toten. Zwei der drei tödlich verunglückten Passagiere waren trotz aller Warnungen nicht angeschnallt, und bei 184 der 298 schwerverletzten Personen handelte es sich um Flugbegleiter. Im Durchschnitt werden jährlich rund sechzig Passagiere in den Vereinigten Staaten bei Turbulenzen verletzt, weil sie nicht angeschnallt waren, wohingegen 10 000 von herabfallenden Gepäckstücken getroffen werden.
Turbulenzen machen sich im hinteren Teil der Maschine um ein Vielfaches stärker bemerkbar. Während es vorn im Cockpit nur ein ganz klein wenig ruckelt, werden wir hinten hin und her geworfen und die Getränke spritzen durch die Gegend. Ich musste deshalb bereits mehrmals in meiner Laufbahn den Piloten bitten, die Anschnallzeichen einzuschalten. Denn solange die nicht leuchten, kann ich Mami und Papi unmöglich bitten, ihren schlafenden Säugling vom
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