»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
»schwer« eingestuft werden. Da die Turbulenzen auf Marys letztem Flug offiziell jedoch als nicht schwer eingeschätzt wurden – obwohl zwei weitere Flugbegleiterinnen ebenfalls verletzt worden waren –, musste sie unbezahlten Urlaub wegen Krankheit nehmen. Nach einem Jahr offizieller Arbeitsunfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls verlieren Flugbegleiter (selbst wenn sie in dieser Zeit keine Gehaltsfortzahlung erhalten haben) ihren Versicherungsschutz, da wir eine bestimmte Anzahl an Arbeitsstunden absolvieren müssen, um in der Krankenkasse zu bleiben. Mary blieb somit nichts anderes übrig, als nach vierunddreißig Berufsjahren mit sechsundfünfzig in Rente zu gehen, da sie sonst ohne Krankenversicherung dagestanden hätte.
Die meisten meiner Kolleginnen, die während der Arbeit schwere Verletzungen erleiden, haben weniger Glück als Mary. Sie sind noch zu jung, um in Rente zu gehen. Auch mir ist himmelangst bei der Vorstellung, ich könnte während eines Flugs verletzt werden und der Unfall würde nicht als Arbeitsunfall eingestuft, nur weil der Kapitän nicht komplett die Kontrolle über die Maschine verloren hat oder das Flugzeug selbst beschädigt wurde. In diesen Fällen müsste nämlich eine sofortige Landung herbeigeführt und die Maschine einer gründlichen Inspektion unterzogen werden. Was die Airline natürlich bares Geld kostet. Das will kein Kapitän auf seine Kappe nehmen. Sie ahnen sicher, was das für ihn bedeuten würde. Eine Freundin von mir, die etwas Einblick ins Management unserer Airline hat, meinte, sie habe noch nie erlebt, dass ein Kapitän »schwere Turbulenzen« gemeldet habe, wenn es während eines Fluges etwas heftiger zur Sache gegangen sei. Wenn Sie also sehen, dass eine Flugbegleiterin hübsch auf ihrem Platz sitzen bleibt, wenn es wackelt und ruckelt, liegt das nur daran, dass sie nicht in Frührente geschickt werden will!
Wenn ein ängstlicher Passagier meine Kollegin Beth bei leichten Turbulenzen fragt, wie sie damit klarkomme, scherzt sie meistens, dass sie während der Ausbildung auf einem Seil balancieren musste, um ihren Gleichgewichtssinn zu schulen. Die meisten kaufen ihr das ab. Meine Freundin Vicky, die mittlerweile in Rente ist, erzählte den Fluggästen immer, sie habe auf dem Trampolin mit einem Tablett voller Gläser geübt. Ich bin wahrscheinlich die Einzige, die ihr das tatsächlich glaubt – was daran liegt, dass ich sie ziemlich gut kenne. Früher habe ich besorgte Passagiere immer damit beruhigt, ein Flugzeug könne nicht einfach so in zwei Teile zerbrechen. Doch 2009 ist genau das auf dem Air-France-Flug 447 geschehen. Noch immer ist ungeklärt, ob durch heftige Stürme hervorgerufene Turbulenzen, ein Blitzeinschlag oder ein vereistes Staurohr zum Absturz geführt haben. Deshalb fordere ich die Reisenden bei Turbulenzen nur noch dazu auf, sitzen zu bleiben und die Ruhe zu bewahren. Und je nachdem, in welcher Beziehung wir stehen, füge ich eine ziemlich ungewöhnliche, aber hochinteressante Statistik hinzu: Bisher kamen mehr Menschen durch einen Sturz vom Esel ums Leben als durch ein Flugzeugunglück.
Ängstlichen Passagieren ist meist nicht klar, dass Turbulenzen etwas völlig Normales sind, das selbst bei glasklarem Wetter jederzeit auftreten kann. Wenn Sie unter Flugangst leiden, sprechen Sie am besten gleich beim Boarding einen Flugbegleiter darauf an. Das braucht Ihnen nicht peinlich zu sein. Wir sind dafür ausgebildet, Ihnen die Angst zu nehmen, und setzen alles daran, Sie zu beruhigen, wenn es ein bisschen ruckelt. Notfalls nehmen wir sogar neben Ihnen Platz und halten Ihre Hand. Sie sollten lieber nicht erst mit der Sprache herausrücken, wenn Sie in Todesangst die Armlehne umklammern und Ihnen der Schweiß aus sämtlichen Poren dringt. Während des Boardings können wir mit Ihnen ins Cockpit gehen, denn Piloten können flatternde Nerven am besten in den Griff bekommen, indem sie genau erklären, wann womit weshalb zu rechnen ist und wie lange es dauern wird. Da sich Turbulenzen im hinteren Teil eines Flugzeugs stärker bemerkbar machen als im vorderen, ist es ratsam, sich bereits bei der Reservierung einen Platz in Cockpitnähe zu sichern. Wenn das nicht möglich ist, sagen Sie es am besten frühzeitig beim Einchecken, damit wir Sie gleich am Schalter auf einen günstiger gelegenen Platz setzen können. Normalerweise reserviert die Airline die besten Sitze für ihre Vielflieger, die ihre Bonusmeilen häufig für ein Upgrade nutzen. Allerdings
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