»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
ihm dann auch die Zuneigung und Unterstützung aller Kurskollegen sicher, die ihm mit stehenden Ovationen Respekt zollen. In meinem Kurs war es die Frau mit der verklumpten Wimperntusche und der auftoupierten Haarpracht, die mich am ersten Tag der Ausbildung in unserem Zimmer begrüßt hatte. Wer hätte gedacht, dass Linda am härtesten für die Erfüllung ihres Traumes kämpfen würde – härter als jeder andere Mensch, dem ich seitdem begegnet bin. Sie hatte ihr Ziel, auch wenn es so viele andere als klein und lächerlich bezeichneten, niemals aus den Augen verloren und so lange an sich gearbeitet, bis sie es erreichte. All das in einem Alter, in dem sich andere längst von ihren Träumen verabschiedet hatten. Allein dafür verdiente sie Bewunderung. Als wir uns kennenlernten, war ich noch zu jung und unreif, um zu erkennen, was für ein außergewöhnlicher Mensch Linda doch war. Ich hatte nur diese riesigen Ohrringe und den geschmacklosen rosa Lippenstift gesehen und innerlich aufgejault: Wieso? Wieso muss ausgerechnet ich mit einer durchgeknallten alten Schachtel im Zimmer landen? Doch die durchgeknallte alte Schachtel erwies sich als eine Frau, die weitaus vernünftiger war, als es mir zunächst erschienen war. Sie wurde sogar zu meiner Inspiration, wann immer ich vor einem Hindernis stand, an dem ich zu scheitern glaubte. Heute bin ich diejenige, die Linda dafür danken muss, dass sie sich mit mir abgegeben hat.
Als nur noch eine Handvoll Absolventinnen vor mir waren, trat eine der Ausbilderinnen an mich heran, hielt mir ein Lineal ans Haar und prüfte nach, ob es auch nicht mehr als zehn Zentimeter über den Kragen reichte. »Ganz knapp«, bemerkte sie, ehe sie zur nächsten verdächtigen Kandidatin schritt. Ich überquerte die Bühne und trat vor meinen Ausbilder, der die Nadel an meinem Revers befestigte. Dann gesellte ich mich zu meinen applaudierenden Kollegen und betrachtete sie voller Stolz: Wir hatten es geschafft.
Nach der Verleihung sah ich das erste Mal nach fast zwei Monaten meine Eltern und meine Schwester wieder; gemeinsam lachten und weinten wir und machten ein paar Fotos. Eine Stunde später war das Spektakel vorüber. Einer der Ausbilder verkündete, es sei an der Zeit aufzubrechen. Unser Shuttle wartete bereits.
»Tja, das war’s dann wohl«, sagte ich. Meine Mutter wischte sich die Tränen ab. Mein Vater umarmte mich ein letztes Mal. Als ich einsteigen wollte, nahm mir meine Schwester das Versprechen ab, sie gleich nach der Landung anzurufen. Ich holte tief Luft und stieg hinter Georgia in den Bus Richtung Flughafen. Das war’s.
New York, New York
Wow, all diese Lichter – das war der Gedanke, der mir bei meinem ersten Anflug auf New York City durch den Kopf schoss. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Und in der Ferne, jenseits der blinkenden Lichter der Landebahn, herrschte tiefe Schwärze: der Atlantik. Der Kontrast hätte krasser kaum sein können. Eilig schoss ich ein paar Fotos durch die zerschrammte Plexiglasscheibe.
» Flight attendants prepare for landing «, ertönte eine tiefe, sachliche Stimme aus dem Lautsprecher. Flugbegleiter, fertigmachen zur Landung . Der Kapitän, nahm ich an. Schlagartig war die Kabine hell erleuchtet. Ich blinzelte, um meine Augen an das grelle Licht zu gewöhnen.
»Sehr geehrte Damen und Herren«, sagte jetzt eine Frauenstimme, »wir haben soeben …«
Ich wusste, was gleich kommen würde, und machte mich sofort ans Werk – mit einem Tritt beförderte ich meine Tasche unter den Sitz und drückte den silberfarbenen Knopf an meiner Armlehne. Mein Sitz schnappte genau in der Sekunde in die aufrechte Position zurück, als zwei Flugbegleiterinnen an mir vorbeigingen, deren enganliegenden Röcke keinen Zweifel ließen: Sie waren Single und auf Männerfang. Auf ihren marineblauen Pumps stolzierten sie den Gang entlang, sammelten schmutzige Tassen, Servietten sowie gelesene Zeitungen ein und überprüften Sicherheitsgurte, Rückenlehnen und das Handgepäck. Ein Passagier zupfte eine der beiden am Rocksaum und bestürmte sie mit Fragen über einen verpassten Anschlussflug und verlorengegangene Gepäckstücke. Die Flugbegleiterin nickte und deutete auf das Bordmagazin, das im Sitz vor dem Mann verstaut war. Lächelnd drückte sie es ihm in die Hand, aber er schnaubte nur vor Wut und schleuderte es sofort auf den freien Sitz neben sich, wild entschlossen, während der verbleibenden Flugzeit seinem Ärger lauthals Luft zu machen.
Georgia lehnte
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