»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
sich über den freien Mittelplatz zwischen uns und drückte meine Hand. »Kannst du dir vorstellen, dass wir in vier Tagen für solche Passagiere verantwortlich sein werden?«
Eine surreale Vorstellung.
Vier Tage. Mehr Zeit blieb uns nicht, um eine Bleibe zu finden und uns einzurichten, bevor wir offiziell unseren Dienst in New York City antreten würden. Das bedeutete Stress pur. Außer uns saßen in der Maschine bestimmt ein Dutzend weitere Jung-Flugbegleiterinnen, von denen keine ahnte, wohin es sie verschlagen und vor allem: was ihr neues Leben sie noch kosten würde. Denn die Chancen auf ein Apartment in New York stiegen enorm, wenn man dem Hausmeister ein paar hundert Dollar in die Hand drückte. Die Mehrzahl von uns stammte aus dem Mittleren Westen, wo derartige Praktiken nicht existierten. Außerdem kam man in unseren Heimatstädten mit einem Jahresgehalt von knapp 18 000 Dollar (abzüglich der 800 Dollar, die sie uns für die Uniform abgezogen hatten) halbwegs über die Runden. Ich für meinen Teil hatte einige Jahre zuvor einen Job in der Vertriebsabteilung eines bekannten Herrenausstatters abgelehnt, weil ich dachte, ich könnte mit 30 000 Dollar jährlich nicht in New York überleben! Jetzt blieb mir gerade einmal die Hälfte. Kein Wunder, dass so viele Hausbesitzer aus Prinzip keine Wohnungen an Flugbegleiter vermieteten. Für ein klassisches New Yorker Ein-Zimmer-Apartment hätten zwanzig von uns zusammenlegen müssen.
Als Flugbegleiter im ersten Dienstjahr standen uns rein rechtlich sogar Lebensmittelmarken zu – vorausgesetzt, die Airline hätte gestattet, dass wir sie annahmen. Da sie das aber nicht tat, nahmen wir sie auch nicht in Anspruch. Übrigens erklärt unsere notorische Geldnot auch, weshalb viele von uns problemlos in Kleidergröße 32 passten, ohne jemals ein Fitnessstudio von innen gesehen zu haben. (Den Mitgliedsbeitrag hätten wir uns ohnehin nicht leisten können.) Sie war aber auch der Grund dafür, dass wir uns von Männern zum Abendessen einladen ließen, die wir unter normalen Umständen keines Blickes gewürdigt hätten. Ich weiß noch, dass der Essensservice manchmal die reinste Tortur war. Mein Magen knurrte die ganze Zeit wie verrückt, während ich inbrünstig hoffte, irgendein Fluggast würde auf sein Essen verzichten. Ich habe Kolleginnen, die an ihrem freien Tag als Passagiere an Bord gingen, nur um an eine kostenlose Mahlzeit zu kommen. Das ist bei weitem nicht so verrückt, wie es klingen mag. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mitten im eiskalten Winter hungrig in New York, dürfen jedoch nach Miami fliegen und unterwegs ein Gratis-Frühstück abstauben. Dann verbringen Sie ein paar Stunden im Flughafen-Hotel, wo Sie Ihre Bräune auf Vordermann bringen und von den 20 Prozent Airline-Rabatt im Hotelrestaurant profitieren können, bevor Sie rechtzeitig zum Abendessen wieder nach New York jetten können. Tja, auch eine Flugbegleiterin muss sehen, wo sie bleibt!
Doch all das war noch Zukunftsmusik, als Georgia und ich an diesem Tag in New York landeten. Wir schnappten unsere Sachen und hasteten, aufgeregt und voller Vorfreude, zur Gepäckausgabe. Unsere Ausbilder hatten uns geraten, als Allererstes das Schwarze Brett am LaGuardia-Flughafen aufzusuchen. Dort angekommen, stellten wir fest, dass es als Sammelbörse für Flugbegleiter auf der Suche nach Mitbewohnern diente. Wir waren darauf nicht angewiesen, denn eine ehemalige Kollegin von Sun Jet hatte früher von New York aus für PanAm gearbeitet und mir einen Kontakt nach Queens vermittelt. Wir hatten Riesenglück und wussten es auch. Ebenso wie unsere neidischen Klassenkameraden, die sich bereits in Vierergruppen zusammengefunden hatten, um sich in ein Hotelzimmer zu quetschen. Eines galt allerdings für jede Einzelne von uns: Für junge Frauen, die pleite und heimatlos waren und nicht wussten, wann sie ihren ersten Gehaltsscheck bekamen, bewältigten wir die Situation mit beeindruckender Souveränität und Eleganz. Was ganz bestimmt einer der Gründe war, weshalb die Airline uns eingestellt hatte.
Gut gelaunt half ich Georgia, ihre riesigen Taschen auf einen Wagen zu wuchten, während uns unsere Klassenkameraden aus dem Shuttle-Bus des Marriott zuwinkten. Die Ärmsten. Sie würden ihre erste Nacht in einer der aufregendsten Städte der Welt in einem hoffnungslos überteuerten Kettenhotel schräg gegenüber vom Flughafen verbringen.
Inzwischen hatten sämtliche Passagiere ihr Gepäck, bis auf uns und eine
Weitere Kostenlose Bücher