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»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

Titel: »Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Poole
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helfen!«, schrie sie einen Passagier an, der das Gate für seinen Anschlussflug nicht kannte. Dann stürzte sie nach hinten in die Bordküche zu ihrem Klappsitz, wo sie sich vor Schmerz krümmte. Nach der Landung wurde es ein klein wenig besser. Obwohl Georgia kaum ein Wort hörte, weil beide Ohren zu waren, war sie fest entschlossen, sich dadurch nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Nach all den Jahren als Schönheitskönigin war sie daran gewöhnt, ihren Körper an seine Grenzen zu treiben. Wenn jemand wusste, was Schmerz bedeutete, dann war es Georgia. Und das hier war nichts im Vergleich zu der sechsmonatigen Radikaldiät, die sie sich verordnet hatte, um im Bikini-Wettbewerb zu punkten. Fest entschlossen, durchzuhalten, schluckte sie noch eine Grippetablette, trank heißen Tee und wartete auf ihren Rückflug.
    Situationen wie diese sind in unserem Beruf an der Tagesordnung. Flugbegleiterinnen melden sich aus einer Vielzahl von Gründen nur sehr ungern krank – allen voran, weil niemand in einem Layover-Hotel fernab der Heimat festsitzen will, schon gar nicht die Crewmitglieder mit Kindern. Viele ziehen ihren Dienst sogar tagelang gnadenlos durch, bevor sie sich auf die Krankenliste setzen lassen. Einmal auf dieser Liste, ist jeder Flug strengstens verboten, selbst als Passagier einer anderen Airline. Ein Mitarbeiter, der gegen diese Vorschrift verstößt und erwischt wird, kann seinen Job vergessen. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für das Tauschen von Flügen. Wer sich schnäuzt, hat verloren – so ist das nun einmal bei uns. Schafft man es nicht, innerhalb der ersten fünf Tage nach der Vergabe der Wunschflugrouten seinen Dienstplan irgendwie zusammenzubasteln, kann man sich gleich abschminken, in diesem Monat für Babypartys, Abschlussfeiern, Hochzeiten, Feiertage oder andere wichtige Ereignisse freizubekommen.
    Bei meinem Arbeitgeber gibt es nach der dritten Krankmeldung eine schriftliche Verwarnung. Es gibt nur eine Möglichkeit, diesem Warnschuss und der Aufforderung zu entgehen, sich an seinem freien Tag zu einem Gespräch mit dem Vorgesetzten am Flughafen einzufinden (in dem man erklären muss, weshalb man krank war und wie dieser Zustand hätte verhindert werden können): ein Besuch beim Arzt. Das gilt auch für eine einfache Erkältung, die problemlos mit ein paar rezeptfreien Medikamenten bekämpft werden könnte. Mit einem ärztlichen Attest reduziert sich die Anzahl der Strafpunkte von zwei auf einen. Beantragen wir unbezahlten Urlaub wegen Krankheit, wird auch dieser eine Punkt aus der Personalakte gestrichen. Wenn wir über einen Zeitraum von zwölf Monaten allerdings nicht genug, das heißt 420, Arbeitsstunden gesammelt haben, um eine Beurlaubung zu beantragen, bleibt der Punkt bestehen. Bei drei Punkten gibt es erneut eine schriftliche Verwarnung. Danach heißt es: Danke und auf Wiedersehen. Aber leider ist ein Arztbesuch für einen Flugbegleiter nicht so einfach, wie man glauben könnte. Erstens ist das Ganze ziemlich kostspielig für jemanden, der so wenig verdient wie wir. Außerdem muss der Arzt einen Stapel Papierkram ausfüllen, der so dick ist, als würden wir die Entlassung aus der Armee beantragen. Der Hausarzt unserer Familie hat mich sogar aus seiner Patientenkartei geworfen, weil er es leid war, all diese lästigen Formulare auszufüllen; ebenso wie meine Frauenärztin, als ich Jahre später schwanger wurde. Sie konnte beim besten Willen nicht verstehen, wieso ich nicht einfach eine andere Aufgabe innerhalb der Airline übernahm, beispielsweise am Boden.
    »Weil ich Flugbegleiterin bin«, erklärte ich ihr. »Für uns gibt es nun mal kein anderes Aufgabenfeld. Ich kann nicht am Schalter arbeiten und Tickets ausstellen, nur weil ich gerade zu krank zum Fliegen bin. Auch das Bodenpersonal durchläuft eine wochenlange Ausbildung.« Obwohl ich mir den Mund fusselig redete, blieben die Formulare unausgefüllt, und ich musste mir wohl oder übel eine andere Gynäkologin suchen.
    Für uns Flugbegleiter ist es äußerst wichtig, Ärzte zu finden, die verstehen, wie unser Job funktioniert. Wir ziehen nicht nur unsere Rollköfferchen hinter uns her, wir wuchten bei jedem Flug kiloschweres Gepäck in die Fächer über unseren Köpfen. Wir servieren nicht nur Getränke, sondern schieben auch knapp hundert Kilo schwere Wagen gegen die Steigung. Wir können uns bei einer Erkältung nicht einfach die Nase putzen, sondern müssen gleich fürchten, dass uns in der Höhe das Trommelfell

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