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»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

Titel: »Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Poole
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hinteren Teil der Maschine, wo sie die dünnen blauen Steppdecken zusammenfaltete und in den Behälter für den nächsten Flug stapelte, als der Kapitän auf dem Gang stehen blieb und rief: »Sie melden sich sofort krank.«
    Erschöpft und erschrocken sank Georgia auf die Armlehne und nickte. Einerseits wollte sie nicht mittendrin schlappmachen und die Crew dazu zwingen, mit einem Besatzungsmitglied weniger weiterzufliegen; noch dazu, da Detroit keine Basis war, an der sofort ein Ersatz parat gestanden hätte. Andererseits fürchtete sie die Konsequenzen, wenn sie die Befehle des Kapitäns missachtete. Es war sein Flugzeug. Er hatte das Kommando, dem die ganze Besatzung Folge zu leisten hatte. Wenn sie jetzt nicht gehorchte, würde dies ernste Folgen für sie haben.
    Der Kapitän sah in Georgias große, blaue, tränenfeuchte Augen und fügte hinzu: »Wenn die Fluggesellschaft Ihnen Ärger macht, sagen Sie einfach, ich hätte es angeordnet. Oder, besser noch, sagen Sie ihnen, dass sie mich anrufen sollen.« Er reichte ihr seine Visitenkarte mit seinem Namen, seiner Telefonnummer und einem kleinen Flugzeug in der rechten unteren Ecke.
    »Danke, Captain«, murmelte Georgia und schob die Visitenkarte in ihre Tasche. Zögernd sammelte sie ihre Sachen ein und verließ die Maschine. Von dem Piloten sah und hörte sie nie wieder etwas, obwohl er echt süß war und Georgia durchaus interessiert gewesen wäre, hätte sie nicht soeben erst der Männerwelt komplett abgeschworen. Aber sie war nicht nur fertig mit Männern, sondern auch mit der Liebe und dem Leben im Allgemeinen. Und nun saß sie auch noch in Detroit fest. Ohne zu ahnen, dass es noch viel schlimmer kommen würde.
    Nicht einmal in ihren wildesten Träumen hätte sie sich ausgemalt, dass sie aus irgendeinem anderen Grund als ihren Flitterwochen eine geschlagene Woche lang mit einer einzigen Garnitur Unterwäsche und einem Bademantel in einem Hotelzimmer landen würde. Doch eine Stunde später trat genau dieser Fall ein. Sie musste ihre Wäsche per Hand waschen und war dem überteuerten Zimmerservice auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das Gratisangebot des Hotels beschränkte sich auf den Transfer vom und zum Flughafen. Sie wollte nicht noch mehr Geld ausgeben, das sie nicht besaß, indem sie in ihre Uniform schlüpfte und sich ein Taxi in die Stadt nahm. Andererseits würde sie im Hotel noch um ihren letzten Cent gebracht werden. Lieber Himmel, jung, pleite und mit nur einer einzigen Unterhose für sieben Tage leben zu müssen, ist ein hartes Los! Sie schlug die Zeit tot, indem sie sich ihre Lieblingsserien im Fernsehen ansah und ihre Telefonrechnung in Höhen katapultierte, die ihr beim Auschecken die Tränen in die Augen treiben sollten. Anfangs lachten wir bei unseren täglichen Telefongesprächen noch über ihre missliche Lage. Wie naiv wir doch waren.
    »Also, dieser Job … Ich weiß ja nicht …«, sagte Georgia eines späten Abends, als sie mich von einem Münztelefon an einer Bushaltestelle in einem Kaff anrief, von dem wir beide vorher noch nie gehört hatten. Sie war auf dem Weg nach Chicago. In ihren Schuhen mit den Zehn-Zentimeter-Absätzen. Als der Druck in ihren Ohren nach ein paar Tagen immer noch nicht verschwunden war, hatte die Verwaltung unserer Fluggesellschaft sie aufgefordert, sich umgehend ins Ärztezentrum des nächstgelegenen Flughafens zu begeben und sich untersuchen zu lassen. »Irgendwann muss es doch besser werden, oder?«
    »Klar«, beruhigte ich sie. Und ich meinte es auch so. »Du sitzt in einem Bus und reist in einer Uniform, die du seit Tagen nicht gewechselt hast, und einer Unterhose, die noch feucht ist, weil sie über Nacht in der Dusche trocknen musste, übers Land. Ist doch völlig normal, oder?« Als ich sie am anderen Ende der Leitung kichern hörte, wusste ich, dass es ihr gutging – zumindest für den Augenblick. Hoffentlich hielt sich ihre Laune bis zur nächstgrößeren Stadt, von wo aus sie mich wieder anrufen konnte. »Sieh es als Abenteuer. Auf diese Weise hast du wenigstens etwas, wovon du eines Tages deinen Enkeln erzählen kannst.«
    Wann immer die Passagiere in der Holzklasse herumblödeln und sich das Filet Mignon medium bestellen, lache ich mit. Jedes. Einzelne. Mal. Weshalb sollte ich ihnen den Spaß verderben? Humor ist eine Fähigkeit, die sich auch für Georgia auf ihrem Busabenteuer noch als überaus nützlich erweisen sollte. Sie wollte niemanden vor den Kopf stoßen, schon gar nicht den finsteren

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