»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
platzt. Nachdem ich mir den kleinen Zeh gebrochen hatte, musste ich meinen Orthopäden regelrecht anflehen, mich noch ein paar Tage länger krankzuschreiben. »Sie sind wieder gesund«, versicherte er mir. Aber das war ich nicht. Definitiv nicht. Nicht gesund genug für einen Zehn-Stunden-Tag in einer Flugzeugkabine in über zehntausend Meter Höhe. Oder um auf einem der größten Flughäfen der Welt von einem Gate zum anderen zu rennen, damit ich nicht zu spät komme. Beim nächsten Besuch in seiner Praxis, zu dem ich noch mehr Formulare mitbrachte, weil die Airline Genaueres über die Ursache und den Verlauf meiner Verletzung wissen wollte, erklärte ich ihm, mein Zeh tue nicht einfach nur weh, sondern poche regelrecht vor Schmerz. Daraufhin schlug er vor, ich solle einfach sechs Schmerztabletten einwerfen und mir seitlich ein Loch in den Schuh schneiden, damit mein Zeh etwas mehr Platz habe. Mir blieb die Spucke weg.
Laut Flugbegleiter-Handbuch ist es natürlich strikt verboten, sich Löcher ins Schuhwerk zu säbeln. Schuhe müssen konservativ und dezent, in schlichtem Schwarz oder Dunkelblau gehalten sein, die Zehen müssen bedeckt und weder Fersen noch Fußränder dürfen sichtbar sein. Und damit nicht genug: Die Absätze dürfen die Mindestabsatzhöhe von zweieinhalb Zentimetern nicht unterschreiten und dabei nicht breiter als die Sohle sein, außerdem müssen Absatz und Sohle dieselbe Farbe haben. Natürlich müssen die Schuhe in gutem Zustand und sauber geputzt sein; Schnallen, bunte Besätze, Schnürungen, Riemchen, Schleifen oder andere Verzierungen sind nicht gestattet. Zu Hosen dürfen auch flache Schuhe (Slipper mit einem niedrigen Absatz) getragen werden, zu Röcken und Kleidern sind Pumps jedoch Pflicht. Der Orthopäde hatte offensichtlich keine Ahnung von den Anforderungen in meinem Job. Nicht die geringste. Stellen Sie sich nur mal vor, eine Flugbegleiterin stünde vor den Passagieren der First Class, während ihre bestrumpften Zehen seitlich aus ihren Schuhen hervorguckten! Doch jede weitere Diskussion war ohnehin sinnlos, da die ersten Formulare bereits ausgefüllt, an die Zentrale gefaxt und vom Betriebsarzt abgesegnet worden waren. Ich war wieder im Dienst und humpelte vollgepumpt mit Schmerzmitteln den Gang entlang.
Sollten wir auf die Idee kommen, wegen etwas Geringfügigerem als einer dicken Erkältung einen Arzt aufzusuchen, hält uns unser Vorgesetzter einen Vortrag über gesunde Ernährung, regelmäßigen Sport und die Einnahme von Vitaminen. Als würde uns das auch nur ansatzweise helfen, wenn ein Fluggast wie ein Rasensprenger seine Bazillen über die Klappsitze, zwei Pendler auf dem Weg zum nächsten Einsatzort, die Cockpittür, die Öfen und den Boden der Bordküche verteilt. Sie finden so was schlimm? Dann schauen Sie erst einmal zu, wie ein Kollege versucht, die Sauerei mit einer Schaufel und einer gelartigen Substanz, mit der man auch Erbrochenes in einen riesigen schaumigen Klumpen verwandeln kann, zu beheben, während ihm Mitarbeiterausweis und Handy aus der Brusttasche mitten in die eklige Pampe fallen. Und wie um alles in der Welt soll man nicht krank werden, wenn am ersten Tag eines dreitägigen Trips ein Passagier auf dem Rückflug aus dem Ausland aus der Toilette tritt und einen komisch ansieht, ehe er sich in einem gewaltigen Strahl über die Reisetasche eines Crewmitglieds erbricht und man außer einem Stapel steifer Papiertaschentücher und einem Stück Allerweltsseife nichts hat, um sie zu säubern?
Tränen strömten Georgia übers Gesicht, als der Flieger zur Landung in Detroit ansetzte. Sie sah sich außerstande, noch länger so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Es war die zweite Strecke an diesem Tag, zwei weitere standen ihr noch bevor. Als die Maschine zum Gate rollte, fiel ihr Blick auf ein kleines Mädchen in der letzten Reihe der Holzklasse, das zwischen den Sitzen hindurchlinste und für ihre Eltern nachspielte, was die traurige Flugbegleiterin da vorn gerade machte.
»Ich habe nicht mal mehr versucht, es zu verbergen. Ich dachte, mir platzt gleich der Schädel. Es war fürchterlich«, schluchzte Georgia später am Telefon.
Nach der Landung erzählte Georgias Kollegin der leitenden Flugbegleiterin, was vorgefallen war. Die wiederum wandte sich an den Kapitän, der unverzüglich in die Kabine kam, wo der Putztrupp gerade den Abfall aus den Sitztaschen pflückte, Kissen aufschüttelte, Sitzgurte arrangierte und Armlehnen herunterklappte. Georgia stand im
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