»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Mann halbwegs kannten, außerdem war die Gefahr, dass er allzu häufig hier auftauchte, nicht besonders groß. Ansonsten galt jedoch: keine Männer! Und zwar nicht nur, weil ein Mann in einem Haus voll junger Frauen ein gewisses Sicherheitsrisiko darstellte, sondern auch, weil keine von uns versessen darauf war, Tricia – ich meine natürlich, eine der Mitbewohnerinnen – beim Sex zu hören oder gar zu sehen. Sie können sich also bestimmt vorstellen, dass wir aus allen Wolken fielen, als wir merkten, dass nicht Tricia, sondern Agnes gegen diese eiserne Regel verstoßen hatte.
Keine von uns hatte eine Ahnung, wie lange das schon so ging, und eigentlich wollten wir es auch gar nicht wissen, denn Agnes’ verborgener Freund war uns echt unheimlich. Außerdem war er steinalt. Mindestens doppelt so alt wie sie. Jane bekam ihn als Erste zu Gesicht, als sie wegen eines gecancelten Trips unerwartet früh nach Hause kam. Er saß im Wohnzimmer, hatte die Füße (samt Schuhen) auf den Couchtisch gelegt und trank Dee Dees Cola light, als sei er hier zu Hause. Und das Allerschlimmste war: Er war ganz allein. Na ja, zumindest glaubten wir, dass es nicht schlimmer kommen könnte – bis wir mehr über ihn erfuhren. Als wir Agnes zur Rede stellten, erfuhren wir, dass er alleinerziehender Vater war, der wegen seiner Spielsucht sein Haus verloren hatte und nun inoffiziell bei uns wohnte. Agnes kümmerte sich um seine kleine Tochter, ein süßes Ding, das Mami zu ihr sagte, während er das Geld, das sie ihm lieh, auf der Rennbahn verzockte. Der schmutzige Kinderwagen gehörte ihm. Wir waren entsetzt, dass er schon so lange bei uns wohnte und keiner etwas davon mitbekommen hatte. Agnes gestand, sie sehne sich schon lange nach einem eigenen Kind; und als wir ihr zusetzten, weshalb sie zuließ, dass ein derartiger Mistkerl ihr Leben zerstöre, gab sie zu, dass sie sich nur wegen des Mädchens auf ihn eingelassen hatte. Ein paar Tage, nachdem wir ihn vor die Tür gesetzt hatten, entdeckte ich den Kinderwagen zwei Häuserblocks weiter in einem Park. Ich suchte den Kinderspielplatz nach ihm ab, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken, trotzdem kehrte ich auf dem schnellsten Weg nach Hause zurück, um die anderen zu warnen. Kurz darauf erschien er immer dann auf der Bildfläche, wenn Agnes zu einem Trip aufbrach. So ging es über Monate, obwohl uns nur eine bestimmte Anzahl an sogenannten Buddy Passes, sprich Freiflügen für Freunde und Verwandte, zur Verfügung steht. Das Ganze ging so lange, bis Agnes gesperrt wurde, weil sie ihr Kontingent an Gratisflügen über Gebühr strapaziert hatte.
Ich kenne außer Agnes niemanden, der die Tatsache, dass er von einem anderen Menschen schamlos ausgenutzt worden ist, schlicht als Suchtverhalten abtut und die ganze Angelegenheit ohne größere psychische Schäden übersteht. Sie gönnte sich ein paar Therapiestunden und trat ihren Dienst wieder an. Wenig später versuchte ihr Freund, sich mit Hilfe seiner kleinen Tochter einen Platz in ihrem Leben zurückzuerobern. Als sie merkte, dass nur ein wirklich radikaler Schnitt helfen würde, ließ sie sich nach San Francisco versetzen (und zu meiner Verblüffung wurden wir danach sogar richtig gute Freundinnen). Wir waren alle sehr stolz auf sie, weil sie die Konsequenzen gezogen und sich nicht hatte weichkochen lassen, und redeten ihr gut zu. Sie hatte das Richtige getan und sollte bloß nichts bereuen. Mittlerweile gibt sie unumwunden zu, dass sie bis zum heutigen Tag versucht, aus diesem Erlebnis zu lernen und es nicht als vergeudete Lebenszeit zu betrachten.
Wir Übriggeliebenen mussten nicht allzu lange suchen, bis wir eine Nachfolgerin für Agnes gefunden hatten. Meine Mutter zog bei uns ein.
Freaks an Bord
Manchmal gehen Träume eben doch in Erfüllung , dachte ich, als eines Tages ein Kollege an Bord kam und verkündete, Brad Pitt sei auf unseren Flug gebucht (das war noch in der Zeit vor Angelina): Eilig verdrückte ich mich auf die Bordtoilette und brachte Frisur und Make-up auf Vordermann – nur für den Fall, dass wir uns zufällig in die Augen sehen sollten, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass ein flüchtiger Blickkontakt seine Liebe zu mir entfachen würde. Andererseits hatte eine Kollegin von mir auf einem Flug Billy Idol kennengelernt und war danach mit ihm ausgegangen, und einer anderen war genau das gleiche mit Rod Stewart passiert. Als ich aus der Toilette kam, stellte ich fest, dass ich nicht die Einzige
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