»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
uns allen hatte, trocken bemerkte: »Es ist schon beeindruckend, was Männer für einen Blowjob so alles aushalten.« Natürlich brachen wir in schallendes Gelächter aus, keine von uns hätte Paula je so etwas zugetraut.
»Stille Wasser sind tief«, sagte ich, als Paula außer Hörweite war. Eigentlich hatte ich nie viel von diesem Sprichwort gehalten, doch damit war bewiesen, dass es ein Körnchen Wahrheit enthielt.
»Sie macht es bestimmt ziemlich oft«, sagte Jane am nächsten Tag mit einem verschmitzten Grinsen zu mir.
Ich brauchte gar nicht erst zu fragen, was mit »es« gemeint war. Paulas Enthüllung war uns beiden nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Auch Grace, eine weitere unserer Mitbewohnerinnen, war so gut wie nie in New York. Sie hatte zwar weder Kinder noch pendelte sie, dafür war ihr Freund beim Militär und in Japan stationiert. Sie verbarrikadierte sich regelmäßig in ihrem Zimmer und telefonierte stundenlang mit Hilfe so unglaublich billiger Telefonkarten aus dem Supermarkt, dass ich mich fragte, ob sie legal sein konnten. Grace war eine der Ersten, die auf Skype umstiegen, lange bevor der Rest der Menschheit es für sich entdeckte. Im Hinblick auf technische Gerätschaften war sie stets auf dem neuesten Stand und versuchte den anderen Mitbewohnerinnen all diese dubiosen Technologien näherzubringen, wie zum Beispiel, mittels Computer ans andere Ende der Welt zu telefonieren. Grace war seit Jahren mit ihrem Freund zusammen, allerdings sahen sie sich so gut wie nie. Normalerweise steckte sie es ziemlich gut weg, trotzdem gab es auch bei ihr schwache Momente, in denen sie entweder zur Bibel griff oder sich ablenkte, indem sie nach Koreatown fuhr und irgendwelche Leckereien kaufte, die sie uns später aufzuzwingen versuchte.
»Probieren geht über Studieren«, erklärte sie nach einem ihrer exotischen Streifzüge und hielt ein Glas mit einem in hellroter Flüssigkeit schwimmenden Etwas in die Höhe. Keine von uns machte Anstalten, eine Kostprobe davon zu nehmen.
Jane hätte zwar liebend gern alles entsorgt, was Grace von ihren Ausflügen anschleppte, verkniff es sich aber. Auch als Tricia lautstark nörgelte, wir müssten demnächst anbauen, um die zwanzig Tupperware-Behälter mit Gemüsesuppe lagern zu können. Erst nachdem Dee Dee beschlossen hatte, aus den Tomaten, Zwiebeln und Jalapeños aus Arizona ein pico de gallo für uns alle zuzubereiten und die Reste ihren Kolleginnen mitzubringen, wenn sie an diesem Abend zur Arbeit ging, erbot sich die stets um Schlichtung bemühte Paula, den Kühlschrank einer Reorganisation zu unterziehen.
Abgesehen davon, dass mich Grace’ Kindheit jedes Mal an das Broadway-Musical Miss Saigon erinnerte, fand ich es spannend, dass sie für eine andere Airline arbeitete, genauer gesagt, für unseren größten Konkurrenten. Nachdem wir uns stundenlang über die Unterschiede zwischen den Fluggesellschaften ausgelassen hatten, gelangten wir zu der Erkenntnis, dass es bei ihrer Airline im Grunde genau gleich lief wie bei unserer – mit der Ausnahme, dass bei Grace die besseren Snacks serviert wurden (Kekse statt Laugenbrezeln), die sie netterweise aber gelegentlich mit nach Hause brachte und mit uns teilte. Ihre Passagiere drohten häufig, künftig nur noch mit unserer Fluggesellschaft zu reisen, während unsere Passagiere häufig drohten, nur noch ihre zu nehmen. Nachdem einer meiner Flüge wegen schlechten Wetters in New York auf einen anderen Flughafen hatte umgeleitet werden müssen, zeterte einer der eben erwähnten Passagiere, er werde beim nächsten Mal garantiert mit Grace’ Airline fliegen. Daraufhin trat eine meiner Kolleginnen zu ihm, schob sein Seitenfenster hoch und zeigte auf eine der Maschinen, die direkt neben uns auf dem Asphalt standen. »Bitte schön, da drüben steht sie. Oh, sieht so aus, als hätten auch sie umgeleitet werden müssen.« Der Mann sagte kein Wort mehr. Im Grunde war es völlig egal, für welche Airline wir arbeiteten. Dämliche Passagiere gibt es überall. Dasselbe galt für die billigen Uniformen, obwohl ich zugeben muss, dass Grace’ Kleid einen etwas schmeichelhafteren Schnitt hatte. Ich überlegte sogar, es ihr abzukaufen und zu unserer Lieblingsschneiderin zu bringen, damit sie die Knöpfe austauschte und unser Logo daraufnähte. Wer außer ihr – »Nein, Uniform falsche Knöpfe« – würde den Unterschied schon bemerken?
Während ich meine freie Zeit gern mit Grace verbrachte, kam Jane besser mit Agnes klar. Was ich
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