»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Rückflug bekam ich meine Strafe. Die Crew begegnete mir mit eisigem Schweigen. Wann immer ich die Bordküche betrat, verstummten alle und lächelten nur. Anfangs dachte ich noch, Dee Dee und ihre Freundinnen hätten etwas gegen Piloten und vielleicht auch gegen Neulinge, die ihnen schöne Augen machten. Und da ich mich mit jemandem eingelassen hatte, der auf der verkehrten Seite der Cockpit-Tür arbeitete, hatte ich meine Mitbewohnerin offenbar in tiefe Verlegenheit gebracht. Doch ein paar Wochen später bot ein gutaussehender Pilot Dee Dee an, sie nach ihrem gemeinsamen Flug nach Hause zu fahren, und sie nahm das Angebot gerne an. Aufgeregt schilderte sie uns die zwanzigminütige Fahrt in sämtlichen Details und betonte, wie vehement sie ihn wegschieben musste, als er versucht hatte, sie zu küssen. In diesem Moment fiel der Groschen. Dee Dee hatte nicht etwa eine Aversion gegen Piloten, sondern nur etwas gegen Neulinge, die deren Aufmerksamkeit auf sich zogen – mit anderen Worten, sie hatte etwas gegen Kolleginnen wie mich. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein …
Abgesehen davon, dass sie beide verheiratet waren, nach New York pendelten und sich den Dachboden teilten, hatten Paula und Dee Dee so gut wie keine Gemeinsamkeiten. Ansonsten gab es einen verlässlichen Hinweis darauf, dass Paula in der Stadt weilte. Dann stand neben dem Sofa ein Korb mit Wolle und Stricknadeln. Wenn Paula zu Hause war, lief sie in ausgebleichten Jeans und Rollkragenpulli (im Winter) oder einem weiten T-Shirt (im Sommer) herum. Sie ließ ihr gewelltes kastanienbraunes Haar offen und saß auf dem Sofa, um irgendeinem Verwandten einen Schal zum Geburtstag zu stricken. Außerdem trug sie zu Hause so gut wie kein Make-up, so dass es jedes Mal ein kleiner Schock war, wenn sie plötzlich in voller Montur vor uns stand: dunkelroter Lippenstift, die dunkelbraunen Augen mit dunklem Kajal umrahmt und das Haar mit einer verzierten Spange im Nacken zusammengenommen. Paula und Dee Dee waren zwar im selben Alter, doch Paula wirkte wesentlich reifer. Trotzdem konnte man sich mit ihr köstlich amüsieren. Vorausgesetzt, sie war in New York, was leider nur selten der Fall war. Um möglichst viel Zeit mit ihren beiden kleinen Söhnen verbringen zu können, kam sie am Tag ihres Flugs frühmorgens nach New York und absolvierte gleich mehrere Strecken hintereinander, um so viele Stunden wie möglich zu sammeln. Kaum war ihr Dienst beendet, sprang sie in die nächste verfügbare Maschine nach Hause. Das klang ziemlich anstrengend. Als ich sie einmal fragte, wie sie all ihre Pflichten als Ehefrau, Mutter und Flugbegleiterin unter einen Hut bekam, lachte sie nur und antwortete, wenn es einem gelänge, mehrere Nachtflüge hintereinander zu absolvieren und dabei nicht durchzudrehen, wäre einem nichts zu viel, selbst der Vorsitz des Elternbeirats.
»Aber was ist mit deinem Mann und deinen Söhnen? Macht es ihnen denn nichts aus, wenn du so oft weg bist?«, fragte Jane, der Paulas Lebensstil mit einem Mal erheblich Kopfzerbrechen zu bereiten schien. Ich vermutete, dass es mit ihrem Piloten allmählich ernst wurde.
Wieder lachte Paula nur. »Natürlich macht es ihnen etwas aus, aber das ist nicht mein Problem! Ich brauche ein bisschen Zeit für mich. Selbst der schlimmste Trip ist im Vergleich zu meinem restlichen Leben wie Urlaub.«
Wie die meisten Flugbegleiterinnen mit Kindern verschwand Paula bei einem Layover sofort nach dem Einchecken in ihrem Hotelzimmer und tauchte erst am nächsten Morgen wieder auf, um den Bus zum Flughafen zu nehmen. Der ganze Abend wurde mit Schaumbädern, der Inanspruchnahme des Zimmerservice, ungestörtem Fernsehen und Lesen im Bett, Ruhe, Frieden und ausreichend Schlaf zugebracht. Schließlich warteten am nächsten Morgen ein Ehemann, der nach frischen Socken suchte, sowie Kinder, die brüllend ihr Frühstück verlangten. Dank ihres Jobs kam Paulas Mann erst gar nicht in Versuchung, sie als selbstverständlich zu betrachten, außerdem bauten ihre Jungs dadurch eine Bindung zu ihrem Vater auf, wie sie den meisten Kindern verwehrt bleibt.
»Glaub mir, Jane – wenn sie erst einmal größer sind und umsonst in der Welt herumfliegen dürfen, werden sie ihrer Mutter noch dankbar sein für diesen Job«, fügte Paula hinzu.
Jane begann laut darüber zu sinnieren, ob ihr Pilotenfreund wohl dieselbe Nachsicht mit ihrer Karriere haben würde wie Paulas Mann, worauf Paula, die offensichtlich die schmutzigste Phantasie von
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