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»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

Titel: »Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Poole
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auszugeben. »Und nur weil die Ärztin mit mir ausgehen möchte, heißt das noch lange nicht, dass sie etwas von mir will«, fügte sie hinzu.
    Ja, ja, Mom, schon klar.
    Was unsere Arbeit betraf, konnte ich mich nicht entscheiden, was schräger war: Oscar-Gewinner wie Robert Redford oder Leonardo DiCaprio zu fragen, was sie trinken wollten, oder Seite an Seite mit der eigenen Mutter zu arbeiten. Was war peinlicher? Als ich auf einem meiner ersten Flüge nach Los Angeles mit zitternden Händen Goldie Hawn bediente und sie mir direkt in die Augen sah, oder als ich mitten während des Service in der Business-Class ganz laut nach »Mom« rief, weil mir der Merlot ausgegangen war.
    »Und nenn mich ja nicht wieder Mom«, befahl mir meine Mutter vor jedem gemeinsamen Flug, als hätte ich absichtlich für diesen Wirbel gesorgt. Meine Mutter – Verzeihung, ich meine natürlich Ellen – wollte um jeden Preis verhindern, mit »Mom« angesprochen zu werden. Für sie war der Begriff »Mom« gleichbedeutend mit »alt«. Ellen sah nämlich großartig aus für ihr Alter, und dass ein vollbesetzter Flug erfuhr, dass sie bereits ein »so altes Kind« hatte – ihre Worte, nicht meine! –, war so ziemlich das Letzte, was sie gebrauchen konnte.
    Dabei rückte sie auf den wenigen Flügen, die wir gemeinsam absolvierten, manchmal sogar von ganz allein mit der Sprache heraus. Wann immer mich die Passagiere breit grinsend anstarrten und die Hälse reckten, um einen besseren Blick auf mich zu erhaschen, wusste ich, dass sie wieder mal unser kleines Geheimnis gelüftet hatte. Wenn ich sie später zur Rede stellte, wiegelte sie ab. »Das war doch nur dieser eine Passagier«, gestand sie dann lachend. Nur dass es eben nicht dabei blieb. Dieser eine Passagier erzählte es seinem Nachbarn, und der erzählte es dem Mann nebenan, und innerhalb kürzester Zeit wusste das ganze Flugzeug Bescheid.
    »Du hast es dem alten Knaben in der letzten Reihe verraten, das sehe ich ganz genau«, sagte ich einmal während eines Flugs und starrte meine Mutter vernichtend an.
    »Was hätte ich denn tun sollen? Er wollte die ganze Zeit, dass ich ihm mit dieser hübschen Flugbegleiterin namens Heather ein Date verschaffe. Ich habe versprochen, ein gutes Wort für ihn einzulegen, aber er hat einfach nicht aufgehört. Und irgendwann bekam ich so ein komisches Gefühl. Ich fand, er sollte Bescheid wissen.«
    Ich aber nicht. Und deshalb weigerte ich mich auch, den Männern, mit denen ich ausging, die Wahrheit über meine Mitbewohnerin Ellen zu erzählen. Für sie war meine Mutter nichts als meine etwas ältere Zimmergenossin, und wenn es nach mir ging, brauchten sie auch nicht zu erfahren, dass ihr Ehemann zufällig mein Vater war. Stellen Sie sich bloß mal vor, ich wäre an einen Fetischisten geraten, der sowohl heimliche Flugbegleiterinnen- als auch Mutter-Tochter-Phantasien hegte. Beides in einen Topf geworfen, und schon hätte ich einen ausgewachsenen Perversen am Hals. Nein, nein, es war auch so schon schwer genug, den Richtigen zu finden.
    Vielleicht das Merkwürdigste an der Sache war für mich, dass wir an Bord unwillkürlich Rollen tauschten und ich einen völlig überzogenen Beschützerinstinkt an den Tag legte. Als Ellen versehentlich einen Tropfen Mineralwasser auf die Armlehne eines Passagiers spritzte und der Typ sie anschnauzte: »He, was soll das? Können Sie nicht aufpassen?«, schoss ich quer durch die Kabine an ihre Seite.
    Ich bin kein Mensch, der sich gern streitet, das wissen Sie ja schon. Aber niemand springt so mit meiner Mutter um! Es war mir schnurzegal, wie viele Vielfliegermeilen der Typ auf dem Buckel hatte oder ob er der Vorstandsheini irgendeines Konzerns war, so ein Benehmen duldete ich nicht! Natürlich hätte ich nie im Leben so reagiert, wenn er mich selbst angeblafft hätte. Vermutlich hätte ich gekatzbuckelt und mich tausend Mal entschuldigt, ehe ich in die Bordküche zurückgekehrt wäre, um dort in aller Ausgiebigkeit über ihn abzulästern. Aber hier ging es um meine Mutter. Das war ein gewaltiger Unterschied.
    Ellen schob mich beiseite. »Das kriege ich schon hin!«, flüsterte sie.
    Natürlich würde sie das tun. Daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Trotzdem blieb ich an ihrer Seite stehen, um sicherzugehen, dass der Kerl sich zu keiner weiteren Respektlosigkeit hinreißen ließ. Du redest hier immerhin mit meiner Mama, Freundchen!
    Leider schaffte ich es nicht immer, dieselbe Geduld mit Ellen an den Tag zu legen

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