»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
musste sie keine missratenen Heim-Haarschnitte mehr retten, sondern konnte mit den Bandmitgliedern von Air Supply in der First Class flirten. Im Bus von LaGuardia nach Newark zeigte sie dem Drummer von Reggae-Star Maxi Priest unsere Familienfotos. Wenige Tage danach stellte sie zu ihrem Entsetzen fest, dass die Hände einer berühmten Talkmasterin so sehr zitterten, dass sie kaum ihr Weinglas halten konnte. Und sie lachte sich halb tot, als einer der berühmtesten Filmstars der Fünfzigerjahre zu ihrer Kollegin – die sich den ganzen Flug über ein Bein ausgerissen hatte, um dem anspruchsvollen Hollywood-Star bloß alles recht zu machen – sagte: »Mein Hund scheint Sie zu mögen. Keine Ahnung, wieso.«
Nach einem Monat gestand meine Mutter: »Jedes Mal, wenn du zu Hause warst und uns all diese verrückten Dinge erzählt hast, die dir an Bord passiert sind, dachte ich, du übertreibst. Aber jetzt weiß ich, dass es hier oben tatsächlich so zugeht.«
Mit meiner Mutter als neuer Kollegin und Mitbewohnerin sprengte mein Leben endgültig jeden Rahmen der Normalität. Als ich einmal nach einem Trip nach Hause kam, hielt Jane mich in der Diele auf. »Ich bin nicht sicher, ob ich dir das erzählen soll, denn wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich es vielleicht lieber nicht wissen wollen …«, stammelte sie nervös.
»Los, raus damit!«, befahl ich und zerrte ungeduldig am Reißverschluss meines Kleides. Ich konnte es kaum erwarten, aus diesem Ding herauszukommen. Nach jedem Flug rieche ich nach einer Mischung aus Schokoladenkeksen, Urin aus der Bordtoilette und der Flüssigkeit, die ich diesmal wieder verschüttet habe – entweder ist eine Champagnerflasche geplatzt, oder mir ist eine Dose Tomatensaft aus der Hand gerutscht. Die Kollegen vom Zoll in Vancouver haben mir einmal verraten, man wisse immer genau, wann unser Flug gelandet sei, weil der Geruch durch das gesamte Gate wehe, sobald die Türen der Maschine sich öffnen.
Jane holte tief Luft. »Yakov kann sich nicht entscheiden, mit wem er lieber ausgehen will, mit dir oder mit deiner Mutter.« Ich erstarrte mitten in der Bewegung.
Schlimm genug, dass ich mich während der Razzia des Ordnungsamts als Yakovs Frau hatte ausgeben müssen, aber dass er ernsthaft glaubte, bei mir oder meiner Mutter landen zu können, haute mich komplett um. Und dann noch zu behaupten, er könne sich nicht zwischen uns entscheiden! Meine Mutter tat natürlich so, als sei sie von dieser Vorstellung genauso entsetzt wie ich, aber wenn ich daran denke, wie oft sie diese Geschichte kichernd und mit roten Wangen bei Verwandten und Freundinnen zum Besten gab, bin ich nicht sicher, ob sie sich von seinem Angebot nicht doch gehörig geschmeichelt fühlte.
Und auch die Fahrdienstleiter bei Kew Gardens machten mir das Leben nicht gerade leicht. Wann immer ich anrief, um einen Wagen zu bestellen, fragten sie mit gespielter Lässigkeit: »Welche Poole ist denn dran? Die Mutter oder die Tochter?«
In solchen Momenten biss ich jedes Mal die Zähne zusammen und verdrehte die Augen. »Die Tochter«, antwortete ich dann so sachlich wie möglich, schließlich wollte ich sie nicht noch mehr provozieren, weil ich genau wusste, dass sie mich nur aufziehen wollten.
Der Gipfel war, als ich es auch noch einem der neuen Fahrer erklären musste – und zwar von Angesicht zu Angesicht. »Sehen Sie den Unterschied wirklich nicht?«, blaffte ich ihn an. Aber als er merkte, dass ich vor Wut kochte, wagte er keinen Blick mehr in den Rückspiegel.
Einmal wollte ein Fahrer von meiner Mutter wissen, wie ihr Date am Vorabend gelaufen sei. Natürlich hatte sie im ersten Moment keine Ahnung, was er meinte. Doch dann dämmerte ihr, dass er sie mit mir verwechselte, und sie beschloss, einfach mitzuspielen. »Oh, super«, antwortete sie, ehe sie die Augen schloss und so tat, als schlafe sie.
»Wieso um alles in der Welt hast du das getan?«, schimpfte ich über das Gelächter meiner Mitbewohnerinnen hinweg.
»Weil ich einen langen, harten Tag hinter mir und keine Lust auf eine Unterhaltung hatte.«
»Wenn ich das nächste Mal in ein Taxi steige, werde ich mich für dich ausgeben und den Fahrer fragen, ob er mit mir ausgehen will«, drohte ich. Und dann setzte ich noch einen drauf: »Und ich erzähle der lesbischen Ärztin um die Ecke, dass du wahnsinnig gern mit ihr etwas trinken gehen würdest, wenn du das nächste Mal in der Stadt bist.«
Meine Mutter schwor Stein und Bein, sich nie wieder als ich
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