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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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die in Gropiusstadt wohnen.
    Ich dachte häufig an Scheidung, hatte aber nicht den Mut dazu. Was ich an Selbstbewusstsein vor meinem Vater gerettet hatte, zertrümmerte mir mein Mann.
    Zum Glück bekam ich in Berlin schnell eine solide Arbeit als Stenokontoristin für 1000 Mark netto. Das Gefühl, anerkannt zu werden und wieder etwas zu leisten, gab mir neue Kraft. Ich ließ mir von meinem Mann nicht mehr alles gefallen. Er kam mir allmählich lächerlich vor mit seiner Großmannssucht. Die Reibereien zwischen ihm und mir wurden immer unerträglicher. Mehrere Trennungsversuche klappten nicht. Ich hing doch sehr an ihm. Vielleicht, weil er der erste Mann für mich war. Und auch wegen der Kinder. Einen Kindergartenplatz kriegte ich für die Mädchen nicht. Ich hätte ihn auch gar nicht bezahlen können. Da war es mir schon lieber, dass wenigstens Richard hin und wieder zu Hause war. So schob ich die Scheidung immer wieder hinaus, bis ich 1973 stark genug war, meinen Irrtum zu korrigieren. Ich ging zum Scheidungsanwalt.
    Was ich durchgemacht hatte, wollte ich Christiane ersparen. Schon bei ihrer Geburt hatte ich mir geschworen: Sie soll so aufwachsen, dass ihr das gar nicht erst passieren kann, in so eine Ehe reinzuschlittern wie ich. Sie soll sich frei entfalten können, nicht in eine Richtung gedrückt werden, soll anders als ich ihre Freiheit haben, so wie sich das für eine moderne Erziehung gehört. Dabei habe ich später wohl zu viel durchgehen lassen.
    Nach der Scheidung musste ich mir erst mal eine neue Wohnung suchen, weil Richard sich weigerte auszuziehen. Ich fand eine im steuerbegünstigten Wohnungsbau. Die kostete 600 Mark Miete, inklusive Garage, obwohl ich kein Auto hatte. Das war für mich eigentlich viel zu teuer. Aber ich hatte keine Wahl. Ich wollte endlich raus aus der Ehe. Ich wollte um jeden Preis einen neuen Anfang für mich und die Kinder.
    Richard war auch nicht in der Lage, für die Kinder zu zahlen. Ich habe mir gesagt, es bleibt dir nur eins übrig, du musst dich jetzt zusammenreißen, auch mal eine Überstunde machen, damit du den Kindern wenigstens etwas bieten kannst. Die waren ja inzwischen zehn und elf Jahre alt und hatten in ihrer Kinderzeit nur das Minimalste an Wohnungseinrichtung. Nicht mal ein anständiges Sofa war da, alles zusammengeschustert. Es hat mir in der Seele wehgetan, dass ich meinen Kindern nicht mal ein gemütliches Zuhause bieten konnte.
    Das wollte ich nach der Scheidung wiedergutmachen. Ich wollte endlich eine hübsche Wohnung haben, in der wir uns alle wohlfühlen. Das war mein Traum. Dafür habe ich gearbeitet. Aber auch, um den Kindern mal einen Extrawunsch erfüllen zu können, schöne Anziehsachen und gemeinsame Ausflüge am Wochenende, die ruhig ein paar Mark kosten dürfen.
    Ich verfolgte dieses Ziel mit Begeisterung. Sie kriegten eine Tapete nach Wunsch und ein Mädchenzimmer mit hübschen Möbeln, und 1975 konnte ich Christiane einen Dual-Plattenspieler schenken. Das waren Sachen, die mich glücklich machten. Ich war ja so froh, mir endlich mal etwas für die Kinder leisten zu können.
    Und wenn ich am späten Nachmittag von der Arbeit nach Hause kam, konnte ich ihnen oft noch etwas mitbringen. Kleinigkeiten zwar. Aber ich hatte mein Vergnügen daran, bei Wertheim oder Karstadt etwas für sie zu kaufen. Meistens preiswerte Sonderangebote. Mal eine ausgefallene Süßigkeit, mal einen lustigen Bleistiftanspitzer oder anderen Schnickschnack. Dann fielen sie mir um den Hals. Das war für mich ein Gefühl wie Weihnachten.
    Heute weiß ich natürlich, dass ich mich in erster Linie von meinem schlechten Gewissen freikaufen wollte, weil ich so wenig Zeit für die Kinder hatte. Ich hätte Geld Geld sein lassen sollen. Ich hätte mich um die Kinder kümmern sollen, statt arbeiten zu gehen. Ich begreif mich heute selber nicht mehr, warum ich die Kinder alleingelassen habe. Als ob man das mit schönen Sachen wieder wettmachen könnte. Ich hätte lieber von der Fürsorge leben sollen, solange mich die Kinder brauchten. Doch Fürsorge war für mich das Letzte. Schon im Elternhaus war mir eingebläut worden, dass man dem Staat nicht zur Last fällt. Vielleicht hätte ich ja auch meinen geschiedenen Mann auf Unterhalt verklagen sollen. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall hab ich vor lauter Anstrengungen für ein hübsches Zuhause völlig aus dem Kopf verloren, worauf es eigentlich ankommt. Ich kann das alles drehen, wie ich will, am Ende mache ich mir immer denselben

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