Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
schlugen, dann schoss eine Fontäne von wenigstens drei Metern den Bach runter.
Die anderen wollten natürlich wissen, wie es in Berlin war, was ich da machte. Aber ich erzählte nicht viel. Ich wollte überhaupt nicht an Berlin denken. Es war wahnsinnig, aber ich dachte nicht einmal mehr an Detlef. Eigentlich hatte ich Detlef jeden Tag einen Brief schreiben wollen. Ich schrieb ihm nicht ein einziges Mal. Ich versuchte manchmal abends, an ihn zu denken. Aber ich konnte ihn mir kaum vorstellen. Er war irgendwie ein Typ aus einer anderen Welt, deren Signale ich nicht mehr verstand.
Abends im Bett bekam ich dann immer öfter urischen Horror. Ich sah die Sound-Typen wie Geister vor mir und dachte daran, dass ich bald nach Berlin zurückmusste. An solchen Abenden hatte ich tierische Angst vor Berlin. Dann dachte ich daran, dass ich meine Oma bitten könnte, bei ihr bleiben zu dürfen. Aber wie hätte ich das begründen können, auch meiner Mutter gegenüber? Ich hätte ihnen alles über meine Erfahrung mit Rauschgift erzählen müssen. Das aber brachte ich nicht. Ich glaube auch, meine Oma wäre tot vom Stuhl gefallen, wenn ich ihr erzählt hätte, dass ihre Kleine sich Heroin spritzt.
Ich musste also zurück nach Berlin. Der Krach, die Lichter, die ganze Hektik, alles, was ich vorher an Berlin geliebt hatte, nervte mich nun irrsinnig. Ich konnte nachts kaum schlafen bei dem Lärm. Und auf dem Kurfürstendamm zwischen den Autos und Menschenmassen bekam ich einen richtigen Horror.
Ich machte gar nicht erst den Versuch, mich wieder in Berlin einzuleben. Denn eine Woche nach meiner Rückkehr ging es auf Klassenreise. Obgleich ich von meiner Patentante fünfzig Mark geschenkt bekam, dachte ich keinen Moment daran, dafür Dope zu besorgen. Ich suchte auch nicht weiter nach Detlef, von dem ich nur hörte, dass er nicht mehr ins Sound ging. Ich blieb total clean, bis ich mit der Klasse in den Schwarzwald fuhr.
Ich hatte mich gefreut auf die Reise, aber nun ging es mir schon nach ein paar Tagen ziemlich mies. Ich hatte Bauchschmerzen nach dem Essen und hielt die Wanderungen kaum durch. Als wir im Autobus nach Lörrach, zu den Suchard-Schokoladenwerken fuhren, sagte Kessi, die neben mir saß, plötzlich: »Mensch, du siehst ja total gelb aus. Gelbsucht.« Kessi rückte richtig ein Stück von mir ab.
Ich dachte, mein Hamster bohnert. Alle Fixer kriegen über kurz oder lang die Gelbsucht durch die dreckigen, alten Spritzbestecke, die auch noch ausgeliehen werden. Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte ich wieder an H. Und ich dachte sofort an die dreckige Spritze, mit der mir der kaputte Typ in der Toilette Bülowbogen das erste Viertel reingeknallt hatte. Dann merkte ich, dass Kessi das mit der Gelbsucht gar nicht ernst gemeint hatte. Und ich dachte, das könne auch nicht sein nach den paar Schüssen, die ja nun auch schon Wochen her waren.
Vor den Suchard-Werken besorgte ich mir an einer Wurstbude einen Plastiklöffel. Dann ging es rein ins Schokoladen-Schlaraffenland. In jeden Bottich mit halbwegs appetitlich aussehender Masse langte ich rein mit meinem Plastiklöffel. Wenn es besonders gut schmeckte, lenkte ich den Führer mit Fragen ab, um ein paar Mal zulangen zu können. Am Ende hatte ich noch so viele Bonbons abgestaubt, dass meine zum Beutel zusammengeknotete Jacke überquoll.
Schon im Bus schwor ich mir, nie wieder ein Stück Schokolade anzurühren. In unserem Quartier brach ich dann zusammen. Meine Leber kapitulierte vor dem fetten Kakaozeug, das ich pfundweise in mich hineingelöffelt hatte.
Nun merkte auch unser Lehrer, dass ich ziemlich gelb aussah. Ein Arzt kam und dann ging es im Krankenwagen tatütata in die Freiburger Universitätsklinik. Das Isolierzimmer auf der Kinderstation war makellos weiß und ein paar Quadratmeter groß. Kein Bild an der Wand, nichts. Schwestern brachten ziemlich wortlos Essen und Pillen. Manchmal kam der Arzt und fragte, wie es mir gehe. Drei Wochen ging das so. Ich durfte das Zimmer nie verlassen, nicht einmal zum Pinkeln. Niemand besuchte mich, keiner sprach mit mir. Ich hatte nichts Vernünftiges zu lesen und kein Radio. Ich dachte oft, ich würde durchdrehen.
Liebe Briefe meiner Mutter waren das Einzige, was mich hochhielt. Ich schrieb ihr auch. Aber meistens schrieb ich an meine beiden Katzen, die einzigen Tiere, die ich noch hatte. Es waren winzig kleine Briefe in kleinen Briefumschlägen, die ich selber faltete.
Manchmal dachte ich an meine Oma und die Kinder aus dem Dorf
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