Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Brüder zu mir. Sie machten jedem Kerl, der mir dumm kam, Beine.
Statt ins Sound ging ich nun in die Bahnhofsterrassen. Ich hatte keine anderen Freunde mehr als unsere kleine Zoo-Clique. Außer Detlef und mir gehörten noch Bernd und Axel dazu. Beide waren sechzehn, waren voll auf H und gingen auf den Strich. Die drei lebten in Axels Wohnung.
Axel war im Gegensatz zu den beiden anderen unheimlich hässlich. In seinem Gesicht passte nichts zusammen. Arme und Beine gehörten irgendwie nicht zu seinem Körper. Also das Letzte, worauf Schwule stehen. Aber er bekam seine Freier und hatte sogar Stammfreier. Detlef konnte die Freier anschreien und beleidigen, wenn ihm die Kotze hochkam. Sie kamen immer wieder angewinselt. Axel, so wie er aussah, musste sich immer zusammennehmen und scheißfreundlich tun. Außerdem hat er wohl was Besonderes im Bett draufgehabt, irgendwas, worauf die Schwulen unheimlich abgefahren sind. Sonst hätte er bei der Konkurrenz auf dem Bahnhof nicht mithalten können.
Er rächte sich aber an den Freiern, wo er nur konnte. Er musste nur an einen Dummen kommen, dann betrog er, beschiss, linkte ab. Axel war ein starker Typ. Man konnte ihn beleidigen und demütigen. Er ließ sich nie etwas anmerken. Er blieb immer liebenswürdig. Er war unglaublich hilfsbereit, eine Eigenschaft, die ich unter Fixern nie wieder gefunden habe. Es gab überhaupt nicht noch mal einen Fixer wie ihn. Er war, als lebte er schon nicht mehr in dieser beschissenen Welt. Ein Jahr später war er tot.
Axel hatte eine ähnliche Geschichte wie wir. Seine Eltern waren geschieden. Er hatte bei seiner Mutter gelebt, bis die zu einem Freund zog. Die Mutter war immerhin großzügig. Sie ließ ihm eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung mit ein paar Möbeln und stellte ihm sogar einen Fernseher rein. Einmal in der Woche besuchte seine Mutter ihn und gab ihm etwas Geld zum Leben. Sie wusste, dass er fixte. Und sie hat ihm wohl auch öfter gesagt, er solle damit aufhören. Sie meinte, sie habe mehr für ihn getan als andere Eltern. Nämlich ihm sogar eine Wohnung mit Fernseher geschenkt.
Ich übernachtete dann auch ein Wochenende in Axels Wohnung. Meine Mutter hatte es erlaubt. Ich hatte wieder was von einer Freundin erzählt.
Axels Wohnung war echt abgestumpft. Eine richtige Fixerwohnung. Der Gestank kam mir schon in der Tür entgegen. Überall standen leere Fischkonservenbüchsen rum, Zigarettenkippen steckten in Öl, Tomaten-und Senfsoße. Dazwischen standen Becher und Tassen, alle mit ein bisschen Wasser drin, Asche, Tabak, Zigarettenpapier. Als ich ein paar Joghurt auf den einzigen Tisch schieben wollte, schepperten auf der anderen Seite zwei Fischbüchsen auf den Boden. Die Soße sickerte in den Teppich. Niemand kümmerte sich darum.
Aus dem Teppich kam sowieso der ekelhafteste Gestank. Als Axel sich einen Druck machte, sah ich, warum es so stank. Er zog die Spritze mit den Blutrückständen aus dem Arm, füllte sie mit Wasser und spritzte die rosa Brühe dann einfach auf den Teppich. So reinigte er sein Besteck immer. Bei jedem Druck kamen ein paar Tropfen Blut mehr auf die abgewetzten Persermuster. Und das machte den süßlich-muffigen Geruch zusammen mit den Fischsoßen. Selbst die Gardinen waren gelb und rochen.
Im dem ganzen stinkenden Chaos war ein strahlend weißes Bett. Ich flüchtete mich sofort darauf. Als ich das Gesicht in die Kissen drückte, roch es nach Ariel und Weißem Riesen. Ich dachte wirklich, du hast noch nie auf einem so sauberen Bett gelegen.
Axel sagte: »Das hab ich für dich bezogen.« Jeden Samstag, wenn ich kam, war das Bett in den nächsten Wochen frisch bezogen. Ich schlief immer nur einmal in derselben Bettwäsche, während die anderen ihre Laken wohl nie wechselten.
Die Jungs kauften mir zu essen und zu trinken, immer, was mir gerade am besten schmeckte. Sie wollten mir einfach eine Freude machen. Vor allem kauften sie mir nur das beste Dope. Meine Leber machte mir immer noch zu schaffen. Wenn ich unreines Zeug drückte, ging es mir dreckig. Sie machten sich große Sorgen, wenn es mir schlecht ging. Also kauften sie mir das sauberste H, auch wenn es teuer war. Die drei waren immer für mich da. Irgendwie hatten sie nur mich. Und ich hatte erst Detlef, dann Axel und Bernd und sonst niemanden mehr.
Ich kam auf ein richtiges Glücksgefühl. Eins, wie ich es selten erlebt hatte. Ich fühlte mich geborgen. Ich fühlte mich zu Hause. Am Nachmittag auf dem Bahnhof Zoo und am Wochenende in der stinkenden
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