Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
ihrer Großmutter, die eine richtige Furie war. Sie hätte gern wieder bei ihrer Mutter gewohnt. Babsi wollte nichts mehr von ihrem wahnsinnigen Zimmer wissen und war deshalb auf Trebe.
Stella hatte auch eine sehr schöne Mutter. Stella liebte sie auch. Aber ihr Vater war bei einem Wohnungsbrand gestorben. Als das passierte, war Stella wohl zehn. Und die Mutter musste sich seitdem allein durchschlagen und hatte wenig Zeit für Stella und fing da auch an zu trinken. Stella hatte damals einen richtigen Tick. Der hieß Muhammad Ali. Sie schwärmte von seiner Stärke. Der war für sie, glaube ich, in ihren Fantasien Vater und Geliebter zusammen.
Wir drei waren also auf demselben Weg. Ich hatte mir ja eigentlich vom ersten Abend an gesagt, dass die beiden auch beim H landen. Als dann aber der Moment kam, in dem mich Stella nach H fragte, war ich ehrlich entsetzt. Ich rastete wieder aus und schrie sie an: »Du lässt den Scheiß. Du bekommst sowieso von niemandem H. Ich höre auch wieder auf damit. Das bringt überhaupt nichts.«
Ich gab Stella auch nichts und sagte den anderen, sie sollten Stella ja kein Dope geben. Ein paar Tage später bekam sie doch was von Blacky, einem aus der Sound-Clique, mit dem sie jetzt befreundet war. Und Babsi machte es ihr natürlich nach.
Sie hatten dann aber erst mal nicht mehr viel Gelegenheit, sich Sniefs zu ergeiern. Sie wurden bei einer Razzia aufgegriffen und wieder nach Hause verfrachtet. Für einige Wochen sah ich sie nicht mehr.
Es war mittlerweile Frühling und draußen wurde es immer wärmer. Mit den ersten warmen Tagen im Jahr verband sich für mich ein Gefühl von Glück. Das hatte ich wohl noch aus meiner Kindheit. Barfuß laufen, sich nackend ausziehen, im Wasser planschen, aufblühende Blumen im Garten. In diesem Frühling 1976 wartete ich vergeblich auf das Glücksgefühl. Ich dachte, es könne gar nicht sein, dass das Leben nicht irgendwie schön wird, wenn die Sonne immer wärmer wird. Aber ich schleppte immer Probleme mit mir rum und wusste nicht mal richtig, was für Probleme das waren. Ich sniefte H, und die Probleme waren weg. Aber so ein Snief hielt längst nicht mehr für eine Woche vor.
Im Mai feierte ich meinen vierzehnten Geburtstag. Meine Mutter gab mir einen Kuss und fünfzig Mark. Die fünfzig Mark hatte sie sich vom Haushaltsgeld abgespart. Ich sollte mir was kaufen, worüber ich mich besonders freute.
Ich fuhr abends auf die Szene an der Kurfürstenstraße. Vierzig Mark gab ich für zwei Viertel H aus. So viel H auf ein Mal hatte ich noch nie gehabt. Für sechs Mark kaufte ich Zigaretten. Ich rauchte jetzt wie wahnsinnig, steckte eine nach der anderen an. Eine Packung konnte ich in zwei, drei Stunden wegqualmen. Vier Mark hatte ich dann noch für das Sound übrig.
Im Sound traf ich gleich Detlef. Er gab mir ein ganz liebes Küsschen und gratulierte mir zum Geburtstag. Ich gratulierte Detlef auch, weil er zwei Tage vor mir Geburtstag hatte. Detlef war ein bisschen traurig und erzählte, seine Eltern hätten ihm diesmal nicht gratuliert. Nur seine Oma. Er war echt mieser dran als ich. Ich versuchte ihn zu trösten mit »Mach dir nichts draus, Alter« und so und außerdem hatte ich ja noch ein ganz geiles Geschenk für ihn. Ich gab ihm einen Druck aus. Ich hatte so viel Dope, dass wir beide bis über den Sonntag draufbleiben konnten.
Nach dieser gemeinsamen Geburtstagsfeier mit einem tierischen Snief für mich und einem ordentlichen Druck für Detlef gingen wir dann richtig zusammen. Bis dahin war Detlef bisweilen noch rumgeflippt mit diesem oder jenem und ich war ja viel mit Babsi und Stella zusammen gewesen. Nun blieben wir fast jede Minute auf Tuchfühlung, wenn ich wegkonnte. Detlef hatte gerade seine Lehre als Rohrleger geschmissen und hatte eigentlich immer Zeit. Wenn wir genügend Geld hatten, waren wir beide auf H.
Die Sommerferien kamen.
Am ersten Ferientag ging ich mit Detlef und einigen aus der Clique zum Strandbad Wannsee. Wir waren mal wieder völlig abgebrannt. Ich lernte schnell, wie man im Strandbad Wannsee leicht zu Sachwerten kam, die man versilbern konnte. Wir drückten uns oben am Wald rum, wo die alten Omis liegen. Wegen des Schattens, weil sie die Sonne nicht mehr so vertragen.
Wir haben erst mal klein angefangen und uns das Nötige für den Tag besorgt. Wir sind also zu einer Decke mit einer Kühlbox daneben, deren Besitzer wohl gerade baden gegangen waren. Ich habe dann ganz laut gesagt: »Ach, Oma ist ja gar nicht da.« Dann
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