Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
und den Bach und die Pferde und manchmal an Berlin, an das Sound, an Detlef und H. Ich wusste nicht, wer ich war. Wenn ich richtig mies drauf war, dachte ich: »Du bist ’ne Fixerbraut mit der ersten Gelbsucht. Basta.« Wenn ich in der Fantasie mit meinen Katzen zusammen war, dachte ich, dass ich mich in der Schule anstrengen würde und jede Ferien zu meiner Oma führe. Das ging wahnsinnig hin und her, und viele Stunden dachte ich überhaupt nichts und starrte einfach an die Decke und wäre am liebsten tot gewesen.
Dann hatte ich noch Angst, dass die Ärzte die Ursache meiner Gelbsucht rausfinden würden. Aber die Einstiche waren in den letzten Wochen verheilt. Narben und Thrombosen hatte ich noch nicht am Arm. Wer sollte auch auf der Kinderstation in Freiburg eine Fixerin vermuten?
Nach drei Wochen musste ich erst mal wieder ein bisschen laufen lernen. Dann durfte ich mit dem Flugzeug nach Berlin zurück. Die Krankenkasse zahlte das. Zu Hause musste ich gleich wieder ins Bett. Ich war glücklich, bei meiner Mutter und meinen Katzen zu sein. Ich dachte an nichts anderes.
Meine Mutter erzählte dann, dass Detlef sie ein paar Mal besucht habe, um nach mir zu fragen. Er habe einen richtig traurigen Eindruck gemacht, weil ich so lange fortblieb, sagte meine Mutter. Erst jetzt fiel mir Detlef wieder richtig ein. Ich sah ihn vor mir, sein schönes lockiges Haar, sein Gesicht, das so wahnsinnig lieb war. Es machte mich ganz happy, dass sich da jemand um mich gesorgt hatte, dass ich von jemandem wirklich geliebt wurde. Von Detlef. Und ich hatte ein richtig schlechtes Gewissen, dass ich meine Liebe zu ihm ein paar Wochen fast vergessen hatte.
Nach ein paar Tagen hatte Detlef irgendwie erfahren, dass ich zurück war, und besuchte mich. Als er vor meinem Bett stand, bekam ich echt einen Schock. Ich brachte überhaupt kein Wort raus.
Detlef war bis auf die Knochen abgemagert. Seine Arme waren so dünn, dass ich leicht mit einer Hand rumfassen konnte. Das Gesicht war ganz weiß und eingefallen. Aber es war noch genauso schön. Die wahnsinnig lieben Augen waren irgendwie größer geworden, trauriger auch. Ich liebte Detlef sofort wieder irrsinnig. Es machte mir gar nichts aus, dass er bis aufs Skelett abgemagert war. Und ich wollte auch gar nicht darüber nachdenken, warum er körperlich so runtergekommen war.
Wir hatten zunächst Schwierigkeiten mit dem Quatschen. Er wollte nur etwas über mich hören. Aber ich hatte ja nichts zu erzählen, was ihn interessiert hätte. Ich kam gar nicht erst auf die Idee, ihm von den Ferien und den Spielen bei meiner Oma zu erzählen. Ich fragte ihn schließlich, warum er nicht mehr ins Sound ginge. Er sagte, das Sound sei doch scheiße. Ich wollte wissen, wo er jetzt immer war, und er sagte schließlich: Am Bahnhof Zoo. Was er da mache? »Anschaffen,« sagte Detlef.
Mich schockte das im Moment überhaupt nicht. Ich wusste von anderen Fixern, dass sie gelegentlich anschafften. Ich hatte keine sehr genauen Vorstellungen davon, was dieses Anschaffen bedeutete. Ich wollte über so was auch nicht weiter nachdenken. Ich wusste nur, dass sie irgendwie Schwule befriedigten, ohne selbst irgendetwas dabei zu empfinden, und viel Geld dafür bekamen. Ich war an diesem Tag nur glücklich darüber, dass Detlef gekommen war und mich noch echt liebte und ich ihn auch.
Am nächsten Sonntag durfte ich das erste Mal wieder raus. Detlef holte mich nachmittags ab. Wir gingen in ein Café in der Lietzenburger Straße. Da waren fast nur Schwule und die meisten kannten Detlef. Die waren alle sehr nett zu mir und machten mir Komplimente. Sie gratulierten Detlef zu seiner hübschen Freundin. Und ich merkte, dass Detlef richtig stolz darauf war, dass ich seine Freundin war und dass er mich deswegen auch in das Café mitgeschleppt hatte, wo ihn alle kannten.
Ich mochte die Schwulen irgendwie. Sie waren nett zu mir, machten mir Komplimente, ohne mich blöd anzumachen wie andere Männer. Die fanden mich niedlich und hatten mich gern, ohne was von mir zu wollen. Mich machten die vielen Komplimente stolz. Ich ging auf die Toilette und sah in den Spiegel. Ich fand, dass die recht hatten. Ich sah echt gut aus, nachdem ich nun mehr als zwei Monate kein Rauschgift mehr angerührt hatte. Ich fand, dass ich noch nie so gut ausgesehen hatte.
Detlef sagte, er müsse noch zum Zoo, weil er sich mit Bernd, seinem besten Freund, verabredet habe. Der hätte heute für ihn mitangeschafft. Detlef war ja meinetwegen nicht dazu
Weitere Kostenlose Bücher