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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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heißt. Jetzt wusste ich erst wirklich, was die Kerle wollten, die mich anquatschten. Dasselbe, was Detlef und ich machten. Bumsen. Natürlich hatte ich vorher gewusst, wie das ging, aber es war was ganz Abstraktes für mich gewesen. Nun war es das Schönste und Intimste zwischen Detlef und mir. Die Freier ekelten mich. Was da auf dem Bahnhof ablief, war mir unvorstellbar: mit einem dieser ekligen, stinkenden Kanaken ins Bett, mit einem Besoffenen oder mit einem fettbäuchigen, schwitzigen Kahlkopf bumsen. Es machte mir keinen Spaß mehr, wenn die Freier mich dämlich anquatschten. Ich hatte einfach keine Sprüche mehr drauf. Ich habe mich angewidert umgedreht und manchmal auch regelrecht nach ihnen getreten. Ich hatte nun auch einen ganz neuen Hass auf die Schwulen. Ich hätte die armen Säue umbringen können. Ich musste immer wieder die Vorstellung niederkämpfen, dass Detlef zu ihnen zärtlich sein musste.
    Ich kam trotzdem jeden Mittag nach der Schule auf den Bahnhof, weil Detlef da war. Wenn er einen Freier gemacht hatte, gingen wir in die Bahnhofsterrassen und ich trank einen Kakao. Manchmal lief das Geschäft schlecht auf dem Bahnhof. Es gab so verflixte Tage, da hatte selbst Detlef es schwer, das Dope für uns beide zusammenzubekommen.
    In den Bahnhofsterrassen lernte ich durch Detlef allmählich auch die anderen Stricher kennen, von denen er mich zuerst immer ferngehalten hatte. Sie waren viel kaputter als wir und hatten es schwerer als die Jungs aus unserer Clique, Freier zu bekommen. Es waren alte Fixer, wie ich sie früher irgendwie bewundert hatte.
    Detlef sagte, das seien alles seine Freunde. Und er sagte, ich müsse mich vor ihnen in Acht nehmen, denn es seien eben alte Fixer und die seien unheimlich link. Sie waren immer schussgeil und hatten nie Geld. Man durfte diesen Freunden nie verraten oder zeigen, dass man Geld oder Dope hatte. Sonst riskierte man, sofort einen in die Fresse zu bekommen. Sie linkten nicht nur Freier, sondern linkten sich auch untereinander ab.
    Ich begann zu ahnen, wie die Fixerszene wirklich war, die mich so angezogen hatte. Nun war ich selber beinahe drin.
    Freunde von Detlef sagten mir manchmal: »Mädchen, hör auf. Du bist zu jung. Du schaffst das noch. Du musst dich nur von Detlef trennen. Der kommt sowieso nicht wieder runter. Mach keinen Scheiß, trenn dich von Detlef.«
    Ich habe ihnen den Vogel gezeigt. Von Detlef trennen, das war das Letzte. Wenn er sterben wollte, dann ich auch. Das sagte ich aber nicht. Ich sagte: »Spinn doch nicht. Wir sind beide nicht drauf. Wir hören beide auf, wenn wir wollen.«
    Die Tage im November 1976 verliefen ziemlich gleich. Von zwei bis acht war ich auf dem Bahnhof. Dann gingen wir zum Treibhaus, einer Diskothek oben am Kurfürstendamm. Am Treibhaus war damals abends die Szene, auf die Detlef ging. Sie war noch kaputter als die Szene am Sound. Da blieb ich dann oft bis zum letzten Bus um zwanzig nach zwölf. Ich lebte eigentlich für die Samstage, an denen ich bei Detlef schlief. Das Schlafen mit ihm wurde jeden Samstag schöner, wenn wir nicht zu viel gedrückt hatten.
    Der Dezember kam. Es wurde immer kälter. Und ich fror. Ich hatte früher nie gefroren. Nun fror ich immer. Ich merkte, dass ich körperlich groggy war. Ich wusste es seit einem Sonntag Anfang Dezember. Ich wachte in Axels Wohnung neben Detlef auf. Mir war tierisch kalt. Ich sah auf irgendeine Schachtel. Da sprang mich plötzlich die Schrift auf der Schachtel an. Es waren die Farben, die wahnsinnig grell leuchteten und in den Augen wehtaten. Es war vor allem ein Rot, das mir Angst machte. Vor Rot hatte ich immer auf meinen Trips Angst gehabt. Auf H war Rot eine sehr sanfte Farbe. Rot wurde wie alle Farben durch einen weichen Schleier schön auf H.
    Nun war da wieder das aggressive Rot auf dieser verdammten Schachtel. Mein Mund war voller Speichel. Ich schluckte ihn hinunter, aber er war sofort wieder da. Er kam irgendwie wieder hoch. Dann war der Speichel doch weg und ich hatte einen ganz trockenen, klebrigen Mund. Ich versuchte etwas zu trinken. Aber das ging nicht. Ich zitterte vor Kälte, bis mir so heiß wurde, dass mir der Schweiß runterlief. Ich weckte Detlef und sagte: »Du, mit mir ist was los.«
    Detlef sah mir ins Gesicht und sagte: »Du hast Pupillen so groß wie Untertassen.« Er machte eine lange Pause und flüsterte dann: »So, Mädchen, jetzt ist es bei dir auch so weit.«
    Ich zitterte wieder und sagte: »Was denn, was ist denn los?«
    Detlef sagte:

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