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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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wolle, und er hatte »gar nichts weiter« gesagt. Ich hatte ihn ausgelacht.
    Ich weiß nicht genau, was ich jetzt dachte. Wahrscheinlich nicht viel. Vielleicht: Gehst du doch mal hin zu dem Typ und findest raus, was er wirklich will. Vielleicht kannst du ja bei ihm ein paar Scheine schlauchen. Jedenfalls winkte er wie ein Wilder rum und ich stand plötzlich neben dem Wagen. Er sagte, ich solle doch einsteigen. Er könne hier nicht länger halten. Und ich stieg ein.
    Tatsächlich wusste ich ganz genau, was nun lief. Dass da nichts mehr mit Schlauchen war. Freier waren nun ja wirklich keine Wesen vom anderen Stern mehr für mich. Ich kannte den Film, der nun begann. Von meinen Beobachtungen am Bahnhof und aus den Erzählungen der Jungs. So wusste ich auch, dass nicht der Freier, sondern der Stricher die Bedingungen diktiert. Ich versuchte ganz cool zu sein. Ich zitterte nicht. Ich holte nur zu viel Luft beim Sprechen und hatte Mühe, meine Sätze in der gleichen coolen Tonart zu Ende zu bringen. Ich fragte: »Was ist denn?«
    Er sagte: »Was soll sein? Hundert Mark. Bist du einverstanden?«
    Ich antwortete: »Also Bumsen oder so etwas ist bei mir überhaupt nicht drin.« Er fragte »warum« und mir fiel in der Aufregung nur die Wahrheit ein: »Hör mal zu. Ich hab einen Freund. Und der ist der Einzige, mit dem ich bisher geschlafen habe. Und dabei soll es auch bleiben.«
    Er sagte: »Das ist gut. Na, dann blas mir einen.«
    Ich sagte: »Nee, das tu ich auch nicht. Dann muss ich kotzen.« Ich war jetzt wirklich sehr cool.
    Er ließ sich überhaupt nicht irritieren. Er sagte: »Okay, dann holst du mir einen runter.«
    Ich sagte: »Klar, mach ich. Für einen Hunderter.« In diesem Moment nahm ich gar nichts wahr. Später wurde mir klar, dass der Typ unheimlich auf mich abgefahren war. Denn hundert Mark für Runterholen, und das auf dem billigen Babystrich an der Kurfürstenstraße, das gab es eigentlich gar nicht. Er war auf meine Angst abgefahren, die ich nicht wirklich verbergen konnte. Er wusste, dass ich keine Schau abzog, wie ich da saß, an die Tür gequetscht, die rechte Hand am Türhebel.
    Als er losfuhr, bekam ich höllische Angst. Ich dachte: Der will doch bestimmt mehr, der wird sich mit Gewalt den Gegenwert für einen Hunderter holen. Oder er wird überhaupt nicht bezahlen. Er hielt an einem Park in der Nähe. Ich war schon öfters durch diesen Park gegangen. Ein echter Nuttenpark. Überall Präservative und Papiertaschentücher.
    Ich zitterte nun richtig und mir war ein bisschen schlecht. Aber der Typ blieb ganz ruhig. Und da bekam ich Mut und sagte, was ich nach den Strich-Regeln jetzt sagen musste: »Erst das Geld.« Er gab mir einen Hundertmarkschein. Ich hatte immer noch Angst. Ich kannte genügend Geschichten von Freiern, die einem hinterher das Geld mit Gewalt wieder abnehmen. Aber ich wusste ja, was ich tun musste. In unserer Clique hatten die Jungs ohnehin in letzter Zeit fast nur noch Erlebnisse mit Freiern ausgetauscht, denn viel was anderes hatten sie sich nicht mehr zu sagen.
    Ich wartete auf den Moment, wo er sich die Hose aufmachte, also voll mit sich beschäftigt war. Da steckte ich den Schein in den Stiefel. Er war bereit. Und ich saß noch immer auf der äußersten Ecke des Sitzes und versuchte, mich nicht zu bewegen. Ich sah ihn nicht mehr an und tastete mich mit der linken Hand vor. Mein Arm war nicht lang genug, und ich musste doch etwas zu ihm hinrutschen. Und ich musste auch noch einmal kurz hinsehen, bevor ich sein Ding in der Hand hatte.
    Mir war kotzübel und ich fror. Ich sah durch die Windschutzscheibe und versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Auf das Licht von Autoscheinwerfern, das durch die Büsche kam, und eine Lichtreklame, die ich sehen konnte. Es ging ziemlich schnell.
    Der Kerl holte wieder seine Brieftasche raus. Er hielt sie so, dass ich reinsehen konnte. Ich sah Fünfhundert-Mark-Scheine und Hunderter. Er wollte wohl Eindruck schinden oder mich schon für das nächste Mal ködern. Er gab mir noch zwanzig Mark. Trinkgeld.
    Als ich wieder aus dem Auto raus war, wurde ich ganz ruhig. Ich zog so eine Art Bilanz: Das war also dein zweiter Mann. Vierzehn Jahre bist du. Vor nicht einmal vier Wochen bist du entjungfert worden. Und nun gehst du auf den Strich.
    Ich dachte dann nicht mehr an den Kerl und das, was ich gemacht hatte. Ich fühlte mich eigentlich ganz happy. Wegen der hundertzwanzig Mark in meinem Stiefel. Ich hatte noch nie so viel Geld auf einmal

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