Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
drehte den Spieß schnell um und der Junge, der den Chef spielte, wurde ganz kleinlaut. Da dachte ich, im Leben könnte ich mich vielleicht auch so durchsetzen.
Mit dem Herrn Mücke gingen wir auch ins Berufsberatungszentrum. Das heißt, erst sahen wir uns noch eine Militärparade der Alliierten an. Die Jungs waren richtig interessiert, schwärmten von den Panzern und ihrer Technik. Mich kotzte diese Technik an, die einen Höllenlärm machte und nur dazu bestimmt war, Menschen zu killen.
Im Berufsberatungszentrum wurde ich dann ganz happy. Ich las alles durch, was ich über den Beruf des Tierpflegers fand. Gleich am nächsten Nachmittag ging ich mit Detlef noch einmal in das Berufsberatungszentrum und ließ mir alles, was sie über Tierpfleger hatten, fotokopieren. Detlef fand einige Berufe, über die man sich da informieren konnte, auch ganz geil. Er suchte auch nach irgendetwas mit Tieren und Landwirtschaft. Wir flippten da so rein, dass wir fast vergessen hätten, dass wir noch Geld für den nächsten Schuss anschaffen mussten. Als wir dann auf dem Bahnhof standen und auf Freier warteten, mit den Fotokopien von der Berufsberatung in der Plastiktüte, war das alles schon wieder ganz unwirklich. Wenn ich so weitermachte, schaffte ich ja nicht mal den Hauptschulabschluss.
Als ich am nächsten Morgen zur Schule fuhr, kaufte ich mir am U-Bahnhof Moritzplatz ein Playboy-Heft. Ich kaufte das für Detlef, der auf den Playboy stand, aber ich las vorher auch immer drin. Ich weiß nicht genau, warum wir uns ausgerechnet für den Playboy interessierten. Heute kann ich das überhaupt nicht mehr verstehen. Aber damals war der Playboy für uns saubere Welt. Sauberer Sex. Schöne Mädchen, die keine Probleme hatten. Keine Schwulen, keine Freier. Die Typen rauchten Pfeife und fuhren Sportwagen und hatten reichlich Kohle. Und die Mädchen bumsten mit ihnen, weil es ihnen Spaß machte. Detlef sagte mal, dass das alles Beschiss sei, aber er wollte den Playboy trotzdem immer haben.
Ich las an diesem Morgen in der U-Bahn eine Kurzgeschichte im Playboy. Den Inhalt kriegte ich gar nicht so genau mit, weil ich vom Morgen-Druck voll breit war. Aber die Stimmung der Geschichte gefiel mir. Das spielte irgendwo weit weg unter blauem Himmel und heißer Sonne und so. Als ich an eine Stelle kam, wo ein hübsches Mädchen ganz ungeduldig darauf wartet, dass ihr toller Freund von der Arbeit nach Hause kommt, fing ich echt an zu weinen. Ich kriegte mich nicht mehr ein, bis ich Bahnhof Wutzkyallee aussteigen musste.
In der Schule träumte ich nur, mit Detlef ganz weit weg zu sein. Als ich Detlef nachmittags auf dem Bahnhof traf, erzählte ich ihm das. Er sagte, er habe einen Onkel und eine Tante in Kanada. Die wohnten an einem riesigen See und nur Wälder und Getreidefelder drum herum, und die würden uns bestimmt aufnehmen. Er sagte, ich solle noch meine Schule zu Ende machen, weil das in jedem Fall besser sei. Er würde schon vorfahren, sich einen Job suchen, das sei da ganz einfach, und wenn ich dann nachkäme, hätte er schon ein Holzhaus für uns gekauft oder auch gemietet.
Ich sagte, ich wolle in jedem Fall meine Schule zu Ende bringen. Es ginge auch schon immer besser mit der Schule. Ich machte da keine dummen Sprüche mehr in Zukunft, sondern würde mich auf den Unterricht konzentrieren, um ein gutes Abschlußzeugnis zu bekommen.
Detlef ging mit einem Freier weg und ich wartete noch. Da standen plötzlich zwei Typen hinter mir und fragten: »Was machst du denn hier?« Ich wusste sofort: Zivilbullen. Ich war noch nie geschnappt worden und hatte auch keinen Horror vor Bullen, weil die mich bisher immer in Ruhe gelassen hatten. Ich ging ja nun schon mit Unterbrechungen einige Monate anschaffen auf dem Bahnhof Zoo wie andere Mädchen in meinem Alter auch. Und Bullenstreifen gab es da jeden Tag. Aber die waren nur scharf auf Kanaken, die eine Flasche Schnaps oder eine Stange Zigaretten aus Ostberlin mitbrachten. Auf diese Kanaken veranstalteten sie regelrechte Jagden.
Ich sagte zu den Zivilbullen ganz cool: »Ich warte auf meinen Freund.«
Einer fragte: »Gehst du anschaffen?«
Ich sagte: »Nee, wie kommen Sie denn da drauf. Sehe ich so aus?«
Sie fragten nach meinem Alter und ich sagte, vierzehn. Sie wollten meinen Ausweis sehen, obwohl man ja erst mit sechzehn einen richtigen Ausweis bekommt. Darüber klärte ich sie dann erst mal auf.
Der eine, der Wortführer, sagte dann: »Gib mal die Plastiktüte her.« Er zog als Erstes den
Weitere Kostenlose Bücher