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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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meiner Mutter, weil er behauptete, ich mache seine Platten kaputt. Aber ich hatte es schon längst raus, das Schloss mit einem Bügel aufzumachen. Im Wohnzimmer war nicht mal ein Groschen. Da fiel mir die Bierdose auf dem Küchenschrank ein. Meine Mutter sammelte in der Bierdose neue Fünfmarkstücke.
    Ich hatte die schwere Bierdose in der Hand, zitterte, weil ich auf Turkey war, und ein bisschen vielleicht auch, weil ich meine Mutter beklauen wollte. Das hatte ich also echt noch nicht gebracht. Das war für mich immer das Letzte gewesen. Da war ich doch noch anders als andere Fixer. Bernd zum Beispiel, der Freund von Detlef, hatte bei seinen Eltern nach und nach alles aus der Wohnung getragen. Fernseher, Kaffeemaschine, elektrische Brotschneidemaschine, wirklich alles, was sich zu ein paar Mark für Dope machen ließ. Ich hatte nur meinen eigenen Schmuck verballert und fast alle meine Schallplatten.
    Nun schüttelte ich also die Fünfmarkstücke meiner Mutter aus der Bierdose. Das viertel Szene-Gramm war gerade um fünf Mark runtergegangen von vierzig auf fünfunddreißig Mark. Ich brauchte also sieben Fünfer. Ich rechnete: Da ich von den Freiern meistens noch vierzig Mark nahm, blieb immer ein Fünfer über. Ich konnte also leicht jeden Tag ein Fünfmarkstück in die Dose zurückstecken. Schon in einer Woche hatte ich das Geld zurückgezahlt und meine Mutter würde wahrscheinlich gar nichts merken. Ich fuhr also mit den sieben Fünfern zur Szene, die morgens an der Mensa der Technischen Universität war, besorgte mir Dope und setzte mir schon voll auf Turkey in der Toilette da meinen Druck.
    Meine Mutter kontrollierte jetzt jeden Abend meine Arme, um zu sehen, ob da ein frischer Einstich war. Ich drückte daraufhin in die Hand. Immer auf denselben Punkt. Da hatte ich dann einen Schorffleck. Meiner Mutter erzählte ich, das sei eine Verletzung, die schlecht verheile. Irgendwann bekam meine Mutter doch mit, dass ich einen frischen Einstich hatte. Ich sagte: »Ja, Mensch, klar. Heute einmal. Ich mache das nur noch ganz selten und das schadet überhaupt nichts.«
    Meine Mutter verdrosch mich richtig. Ich wehrte mich nicht. Mir machte das gar nicht mehr viel aus. Sie behandelte mich sowieso schon wie das letzte Stück Dreck, machte mich bei jeder Gelegenheit fertig. Instinktiv tat sie genau das Richtige. Denn ein Fixer muss vor Dreck und Scheiße absolut nicht mehr weiterwissen, bevor er überhaupt bereit ist, ernsthaft etwas zu ändern. Dann bringt er sich eben um oder nutzt die dünne Chance, vom H wegzukommen. Solche Einsichten hatte ich damals allerdings noch längst nicht.
    Meine Mutter machte sich noch andere Hoffnungen. Mit Beginn der Frühjahrsferien sollte ich vier Wochen zu meiner Oma und meinen Vettern und Cousinen aufs Dorf nach Hessen fahren. Vielleicht sollte ich auch länger bleiben. Ich wusste nicht mehr, ob ich mich freuen sollte oder Angst haben vor der Trennung von Detlef und dem unumgänglichen Entzug da. Ich machte eigentlich nur noch, was man mit mir machte. Ich setzte nur durch, dass Detlef die letzte Nacht bei mir schlafen durfte.
    Diese letzte Nacht in Berlin hatte ich dann wieder irgendeine Hoffnung. Nachdem ich mit Detlef geschlafen hatte, sagte ich zu ihm: »Du, eigentlich haben wir immer alles zusammen gemacht. Ich möchte in den nächsten vier Wochen echt entziehen. Ich bekomme nie wieder so eine Möglichkeit. Und ich möchte, dass du auch entziehst. Wenn ich wiederkomme, sind wir beide clean und fangen ein neues Leben an.«
    Detlef sagte, klar, er würde entziehen. Er habe mir das sowieso schon sagen wollen. Er habe schon eine Quelle für Valeron. Arbeit werde er sich inzwischen auch besorgen und gleich ab morgen oder übermorgen nicht mehr anschaffen gehen.
    Am nächsten Morgen setzte ich mir noch einen extradicken Druck, bevor ich zu meiner Oma ins neue Leben startete. Als ich ankam, war ich noch nicht richtig auf Turkey. Aber ich fühlte mich wie ein Fremdkörper in dieser Idylle der Bauernküche. Alles nervte mich an. Mich nervte es, als mein kleiner Cousin auf meinen Schoß wollte, mit dem ich schon als Baby immer gespielt hatte. Mich nervte das alte Plumpsklo, das ich noch beim letzten Mal romantisch gefunden hatte.
    Am nächsten Morgen ging es dann voll los mit den Entzugserscheinungen. Ich schlich mich aus dem Haus und in den Wald. Mich nervte das Gepiepse der Vögel und ich erschrak vor einem Kaninchen. Ich kletterte auf einen Hochsitz. Ich konnte nicht mal eine Zigarette mehr

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