Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
spezialisiert hatten. Vor allem aber traf man sich auf dem U-Bahnhof Kurfürstendamm.
Ich ging da von Gruppe zu Gruppe und quatschte mit den anderen Fixern. Wenn ich so rumlief zwischen den anderen Fixern, kam ich mir manchmal ganz großartig vor. Ich latschte über diesen Bahnsteig unter dem Kurfürstendamm wie ein Star unter Stars. Ich sah die Omas mit ihren Bündeln von Plastiktüten von Wertheim oder von Bilka zurückkommen, wie sie uns ganz entsetzt und richtig ängstlich angafften, und ich dachte: Wie sind wir Fixer denen doch haushoch überlegen. Sicher, wir führen ein knallhartes Leben, wir können jeden Tag sterben und werden bald sterben. Aber wir wollen es eben nicht anders. Mir jedenfalls gefällt das so. Ich dachte an das Geld, das ich verdiente. Hundert Mark brauchte ich jeden Tag allein für Dope. Mit den Nebenkosten kam ich auf viertausend Mark Ausgaben im Monat, die ich also auch reinholen musste. Ich dachte: Auf viertausend Mark netto kommt gerade ein Direktor von einer Firma. Und ich machte diese viertausend mit vierzehn Jahren.
Sicher war das Anschaffen ein mieser Job. Doch auf H machte mir das gar nicht mehr so viel aus. Und im Grunde linkte ich die Freier doch nur ab. Meine Arbeit auf dem Strich stand jedenfalls in keinem Verhältnis zu dem, was sie mir geben mussten. Ich bestimmte auch noch immer die Bedingungen. Bumsen gab es bei mir nicht.
Unter den anderen waren noch größere Stars als ich. Da gab es welche, die erzählten, sie brauchten 4 Gramm H am Tag. Das kostete sie damals fünfhundert bis achthundertfünfzig Mark am Tag. Und sie brachten die Kohle fast immer zusammen. Die machten also mehr Geld als jeder Generaldirektor, ohne dass die Bullen sie schnappten. Und das waren Stars, zu denen ich jederzeit auf dem Bahnhof Kurfürstendamm gehen konnte und die mit mir quatschten.
Das waren so meine Gefühle und Gedanken in dieser Zeit, Februar, März 1977, wenn ich gut drauf war. Mir ging es nicht gut, aber ich war auch noch nicht wieder völlig fertig. Ich konnte mir selber noch eine Menge vorlügen. Ich hatte mich wieder total in die Fixer-rolle eingelebt. Ich fand mich unheimlich cool. Ich hatte vor nichts Angst.
Als ich noch nicht auf H gewesen war, hatte ich vor allem Angst gehabt. Vor meinem Vater, später vor dem Freund meiner Mutter, vor der Scheiß-Schule und den Lehrern, vor Hauswarten, Verkehrspolizisten und U-Bahn-Kontrolleuren. Jetzt fühlte ich mich unantastbar. Nicht mal vor den Zivilbullen hatte ich Schiss, die manchmal auf dem Bahnhof rumschlichen. Bei jeder Razzia war ich noch eiskalt entkommen.
Ich hatte in dieser Zeit auch Kontakt zu Fixern, von denen ich glaubte, dass sie echt cool mit dem Dope umgehen. Zum Beispiel Atze und Lufo. Atze war mein erster Freund. Der einzige Junge, mit dem ich vor Detlef eine engere Beziehung hatte, in den ich echt verknallt war. Lufo hatte wie Atze und Detlef 1976 zu unserer Hascherclique im Sound gehört. Atze und Lufo waren kurz vor mir auf H gekommen. Sie lebten jetzt in einer astreinen Wohnung mit französischem Bett, Couchgarnitur und Teppichboden. Lufo hatte sogar noch einen richtigen Job als Hilfsarbeiter bei Schwarzkopf. Die beiden sagten, dass sie noch nie körperlich abhängig gewesen seien von Heroin und manchmal ein, zwei Monate ohne Druck auskämen. Ich glaubte ihnen das, obwohl sie eigentlich immer drauf waren, wenn ich sie sah.
Atze und Lufo waren richtige Vorbilder für mich. Ich wollte nicht wieder so weit runterkommen wie vor meinem ersten Entzug. Und ich glaubte, ich könnte es mit Detlef auch zu einer Wohnung mit französischem Bett und Couchgarnitur und Teppichboden bringen, wenn wir nur genauso cool mit dem Dope umgingen wie Atze und Lufo.
Die beiden waren auch nicht so aggressiv wie andere Fixer. Und Atze hatte eine ganz coole Freundin, Simone, die drückte überhaupt nicht. Ich fand das wahnsinnig gut, dass die beiden sich trotzdem verstanden. Ich war gern bei ihnen und schlief manchmal auf Lufos Couch, wenn ich Zoff mit Detlef hatte.
Als ich eines Abends nach Hause kam und mich noch zu meiner Mutter ins Wohnzimmer setzte, weil ich ganz gut drauf war, holte sie, ohne ein Wort zu sagen, eine Zeitung. Ich ahnte schon, was kam. Sie gab mir immer wortlos die Zeitung, wenn da wieder eine Meldung über einen Herointoten drin war. Mich nervte das. Ich wollte das nicht lesen.
Ich las die Zeitung, obwohl es mich nervte. Ich las: »Glaserlehrling Andreas W. (17) wollte vom Rauschgift loskommen. Seine 16-jährige
Weitere Kostenlose Bücher