Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
Vom Netzwerk:
aufrauchen. Ich wollte auf dem Hochsitz sterben. Irgendwann schlich ich mich nach Hause zurück und ging ins Bett. Ich sagte meiner Oma, dass ich eine Grippe oder so etwas hätte. Sie war besorgt, aber nicht richtig beunruhigt über meinen erbärmlichen Zustand.
    Über meinem Bett hing ein Poster. Da war eine Skeletthand mit einer Spritze drauf. Und darunter stand: »Das ist das Ende. Mit Neugier fing es an.« Meine Cousine hatte behauptet, sie habe das Poster mal in der Schule bekommen. Ich hatte keine Ahnung, dass meine Mutter die Oma informiert hatte, dass ich rauschgiftsüchtig war. Ich starrte jetzt diese Spritze an. Nur die Spritze. Die Buchstaben und diese Totenhand sah ich nicht mehr. Ich stellte mir vor, dass in diesem Besteck ein Viertel astreinen Dopes war. Die Spritze kam richtig aus dem Poster auf mich zu. Stundenlang starrte ich auf dieses Scheißposter und wurde beinah wahnsinnig.
    Meine Cousine war oft im Zimmer und tat so, als bemerke sie gar nicht, was mit mir los war. Sie dudelte ständig irgendwelche Teenie-Bopper-Musik-Kassetten ab und dachte wohl, sie könne mich damit ablenken. Im Nachhinein war es natürlich ganz rührend, was sie bei meiner Oma mit mir so anstellten.
    Der erste Tag auf Entzug ging und ging nicht zu Ende. Als ich mal eindöste, träumte ich von einem Typen, der tatsächlich auf der Berliner Szene rumlief. Der war schon so kaputt vom Fixen, dass er überall offene Hautstellen hatte. Der verfaulte bei lebendigem Leibe. Seine Füße waren schon abgestorben und ganz schwarz. Er konnte kaum noch gehen. Er stank auf zwei Meter so, dass es nicht zum Aushalten war. Wenn ihm jemand sagte, er solle doch ins Krankenhaus gehen, dann grinste er wie ein Totenschädel. Der wartete echt nur auf den Tod. An diesen Typ musste ich dann denken, wenn ich nicht auf die Spritze starrte oder vor Schmerz halb besinnungslos war. Es war alles wie beim ersten Mal: mit Schwitzen und Stinken und Kotzen.
    Am nächsten Morgen hielt ich es nicht mehr aus. Ich schleppte mich zur Telefonzelle im Dorf und rief meine Mutter an. Ich heulte Rotz und Wasser in den Telefonhörer und bettelte, dass ich nach Berlin zurückdürfe.
    Meine Mutter war ganz kühl. Sie sagte: »Aha, geht es dir wieder schlecht? Ich denke, du hast nur noch gelegentlich Rauschgift genommen. Na, dann kann das ja auch nicht so schlimm sein.«
    Ich bettelte schließlich nur noch, dass sie mir mit einem Eilbrief Schlaftabletten schickte. Ich wusste, dass in der nächsten Kleinstadt eine H-Szene war. Das hatte ich schon bei meinem letzten Besuch gecheckt. Aber ich hatte keine Kraft, da hinzukommen. Ich kannte da ja auch niemanden auf der Szene. Wenn ein Fixer von der eigenen Szene weg ist, dann ist er total einsam und hilflos.
    Der Turkey dauerte zum Glück wieder nur vier Tage. Als er vorbei war, fühlte ich mich nur leer und ausgepumpt. Es gab mir nicht mal ein gutes Gefühl mehr, dass das Gift aus meinem Körper raus war. Ich hatte wieder einen Ekel vor Berlin, aber ich fühlte mich in diesem Dorf auch nicht mehr zu Hause. Ich dachte, ich gehörte eben nirgends mehr hin, und versuchte, nicht weiter nachzudenken.
    Zum Antörnen hatte ich nur die Schlaftabletten, die meine Mutter mir viel zu spät geschickt hatte, und Apfelwein, der reichlich bei meiner Oma im Keller stand. Ich ging auf den Fresstrip. Ich fing morgens mit vier oder fünf Brötchen an und aß nachmittags zwischendurch zwölf, fünfzehn Knäckebrot mit Marmelade. Nachts ging ich an das Riesenregal mit eingemachten Pflaumen, Pfirsichen und Erdbeeren. Da häufte ich mir dann noch Schlagsahne drauf. Schlafen konnte ich sowieso nie vor zwei, drei Uhr morgens.
    Ich nahm in ganz kurzer Zeit zehn Kilo zu. Meine Verwandten freuten sich, wie mir der Bauch über die Hose quoll und mein Arsch immer dicker wurde. Nur meine Arme und Beine blieben so dünn, wie sie gewesen waren. Mir war das alles egal. Ich war jetzt eben fresssüchtig. Meine hautengen Jeans passten mir schon bald nicht mehr. Da bekam ich von meiner Cousine ein paar schlabberige karierte Hosen, wie ich sie in Berlin zuletzt mit elf Jahren getragen hatte. Mir machte das nichts aus. Ich lebte mich schon allmählich wieder in die Kindergemeinschaft des Dorfes ein. Aber ich nahm das alles nicht für echt. Das war ein Trip, ein ganz schöner Film, der bald wieder zu Ende ging.
    Ich sprach mit den anderen nicht über Drogen und ich dachte bald auch nicht mehr an Drogen. Ich wollte mir den schönen Film nicht kaputt machen. Nur kurz

Weitere Kostenlose Bücher