Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
und immerzu sagen, ob die Flasche heiß oder kalt sei. In ihrem Fiebertran machte sie das mit. Nach einer Stunde hatte sie angeblich kein Fieber mehr.
Ich war so angetörnt von allem, dass ich gleich am nächsten Morgen ins Büro lief und um eine neue Session bat. Eine Woche lang war ich voll auf dem Sektentrip und dachte, dass die Therapien mich wirklich weiterbringen. Es war den ganzen Tag Programm. Sessions, Saubermachen, Küchendienst. Das ging bis um zehn Uhr abends. Man hatte überhaupt keine Zeit zum Nachdenken.
Das Einzige, was mich annervte, war das Essen. Ich war nun echt nicht verwöhnt mit Essen. Aber den Fraß, den die da anboten, kriegte ich kaum runter. Und ich dachte, für das viele Geld könnten sie schon etwas besseres Essen bieten. Denn sie hatten sonst kaum Unkosten. Die Sessions wurden meistens von ehemaligen Fixern geleitet, die angeblich schon ein paar Monate clean waren. Denen sagte man, das gehöre mit zu ihrer Therapie, und die kriegten allenfalls mal ein Taschengeld. Ich fand es auch nicht gut, dass die Bosse von Narkonon immer für sich aßen. Ich kam mal dazu, als sie gerade am Mittagstisch saßen. Die mampften die leckersten Sachen in sich rein.
An einem Sonntag hatte ich dann richtig Zeit zum Nachdenken. Ich dachte zuerst an Detlef und wurde dabei ziemlich traurig. Dann überlegte ich mir tatsächlich ganz nüchtern, was ich nach der Therapie machen könne. Ich fragte mich, ob die Sessions mir tatsächlich geholfen hätten. Ich war voll mit Fragen, auf die ich keine Antworten hatte. Ich wollte mit irgendjemandem reden. Aber ich hatte niemanden. Eines der ersten Hausgebote war, dass man keine Freundschaften schließen durfte. Und die Narkonontypen gaben einem sofort eine Session, wenn man über Probleme reden wollte. Mir wurde klar, dass ich in der ganzen Zeit im Haus noch nie mit jemandem richtig gequatscht hatte.
Am Montag ging ich ins Büro und legte los. Ich ließ mich nicht unterbrechen. Mit dem Essen fing ich an. Dann sagte ich, dass mir schon fast alle Unterhosen gestohlen worden seien. In die Waschküche käme man nie rein, weil das Mädchen, das den Waschküchenschlüssel hatte, ständig auf die Szene abhaute. Überhaupt gab es da ein paar, die hauten ab, um sich einen Druck zu besorgen, und kamen wieder, wie sie wollten. Ich sagte, dass solche Sachen mich ganz schön runterzögen. Und dann diese pausenlosen Sessions und die Hausarbeit. Ich war total übermüdet, weil ich einfach nicht genug Zeit zum Schlafen fand. Ich sagte: »Okay, eure Therapien sind ja ganz schön abgefahren, die sind echt gut. Aber meine eigentlichen Probleme lösen die auch nicht. Weil das Ganze eigentlich nur Drill ist. Ihr versucht uns regelrecht zu drillen. Aber ich brauche jemanden, mit dem ich auch mal über meine Probleme reden kann. Ich brauche überhaupt mal Zeit, um mich mit meinen Problemen auseinanderzusetzen.«
Die hörten sich das mit ihrem ewigen Lächeln an. Sie sagten überhaupt nichts dazu. Als ich zu Ende war, brummten sie mir eine Extrasession auf, die den ganzen Tag ging, bis abends um zehn. Die brachte mich wieder in die totale Apathie. Und ich dachte, die wüssten vielleicht doch, was sie taten. Meine Mutter hatte mir bei einem Besuch erzählt, dass sie das Geld, das sie für mich bei Narkonon zahlen musste, vom Sozialamt zurückbekäme. Und ich meinte, wenn der Staat Geld dafür gab, musste die Sache eigentlich okay sein.
Andere hatten noch mehr Probleme im Haus als ich. Die Gabi zum Beispiel. Sie hatte sich in einen Typen verknallt und wollte unbedingt mit ihm bumsen. Echt treu doof hat sie das den Narkononbossen erzählt und kriegte sofort eine Extrasession aufgebrummt. Als sie dann doch mit dem Typ ein paarmal bumste, kam das raus und die beiden wurden vor allen bloßgestellt. Die Gabi haute noch am selben Abend ab und kam nie wieder. Der Typ, der angeblich schon ein paar Jahre clean war und als Helfer mitarbeitete, türmte etwas später. Er wurde wieder zum totalen Fixer.
Es ging denen von Narkonon eigentlich nicht so sehr ums Bumsen. Wichtiger war ihnen, dass keine Freundschaften entstanden. Aber der Typ war eben schon ein Jahr da und wie soll man so lange ohne Freundschaft durchstehen.
Ich war in der kurzen Freizeit spätabends immer mit den Jüngeren zusammen. Ich war die Jüngste im Haus. Aber in der Clique, die sich langsam rausbildete, war noch keiner siebzehn. Es kam jetzt die erste Welle von denen in die Therapie, die schon als Kinder angefangen hatten zu fixen.
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