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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziegler Jean
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komplett überarbeitete Ausgabe, Salzburg, Ecowin, 2012.

DRITTER TEIL
    Das Recht auf Nahrung
und seine Feinde

1
    Die Kreuzritter des Neoliberalismus
    Die Feinde des Rechts auf Nahrung sind die transkontinentalen Privatkonzerne, die – direkt oder indirekt – den größten Teil des Weltagrarhandels kontrollieren. Ihre Geschäftsmaxime ist die Profitmaximierung. Ihre Legitimationstheorie die Doxa des Neoliberalismus. Ihre Chief Executive Officers (CEOs) bestimmen jeden Tag, wer auf diesem Planeten stirbt und wer lebt. Ihr Einfluss auf die meisten westlichen Regierungen ist entscheidend. So haben zum Beispiel die Vereinigten Staaten den Internationalen Pakt Nr. 1 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte – dessen Artikel 11 das Recht auf Nahrung festschreibt – nicht ratifiziert. Andere westliche Staaten – Großbritannien, Australien, Kanada, die Schweiz u. a. – sind dem Pakt zwar beigetreten, weigern sich aber, die Justiziabilität des Rechts auf Nahrung anzuerkennen.
    Für die Agrarkonzerne und die ihnen hörigen Regierungen gelten ausschließlich die zivilen und politischen Menschenrechte (Meinungs-, Religions-, Versammlungsfreiheit, Recht auf physische Integrität, auf Migration etc.). Für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte hingegen, so ihre Argumentation, sei allein der Markt zuständig. Das Massaker des Hungers? Es könne allein durch Steigerung der Marktkräfte beseitigt werden. Die Totalliberalisierung der Waren-, Kapital-, Patent- und Dienstleistungsströme, die Privatisierung aller öffentlichen Sektoren seien Voraussetzung für diese Steigerung. Jeder normative Eingriff in das Marktgeschehen (Agrarreform, Subventionierung der Basislebensmittelpreise zugunsten der ärmsten Bevölkerungsteile, Verbot der Börsenspekulation auf Grundnahrungsmittel etc.) seien strikt abzulehnen.
    Heute kontrollieren die zweihundert größten Konzerne der Agrarindustrie rund ein Viertel der globalen Lebensmittelerzeugung. In der Regel erwirtschaften diese Unternehmen astronomische Gewinne und verfügen über weit größere Finanzmittel als die meisten Staaten, in denen sie ihren Sitz haben. 137 De facto haben sie ein Monopol auf die gesamte Nahrungskette, angefangen bei der Erzeugung über den Transport, die Silohaltung, die Verarbeitung und Vermarktung bis hin zum Einzelvertrieb der Produkte, was letztlich die Wahlmöglichkeiten der Erzeuger und Verbraucher erheblich einschränkt.
    Seit Erscheinen von Dan Morgans Buch Merchants of Grain , das zum Klassiker wurde, verwenden die amerikanischen Medien häufig den Ausdruck »Getreidehändler«, um die wichtigsten transkontinentalen Agrarkonzerne zu bezeichnen. 138 Der Begriff ist unzutreffend: Die Giganten der Lebensmittelindustrie kontrollieren nicht nur die Preisbildung und den Handel der Nahrungsmittel, sondern auch wichtige Bereiche der Agroindustrie, vor allem Saatgut, Dünger, Pestizide, Lagerung, Transport und so fort.
    Lediglich zehn Unternehmen – darunter Aventis, Monsanto, Pioneer und Syngenta – beherrschen ein Drittel des Saatgutmarktes, dessen Umsatz mit 23 Milliarden Dollar im Jahr beziffert wird, und 80 Prozent des Pestizidmarktes, den man auf 28 Milliarden Dollar schätzt. 139 Zehn weitere Konzerne, darunter Cargill, kontrollieren 57 Prozent des Absatzes der dreißig größten Einzelhandelsketten der Welt und kommen auf 37 Prozent der Einnahmen, die die hundert größten Lebensmittel- und Getränkekonzerne erwirtschaften. 140
    Sechs Unternehmen teilen 77 Prozent des Düngermarktes unter sich auf: Bayer, Syngenta, BASF, Cargill, DuPont, Monsanto.
    In einigen Bereichen der Verarbeitung und Vermarktung von Agrarprodukten liegen mehr als 80 Prozent des Handels mit einem gegebenen landwirtschaftlichen Erzeugnis in den Händen einiger weniger transkontinentaler Konzerne. Laut Denis Horman beherrschen »sechs Unternehmen rund 85 Prozent des Welthandels mit Getreide; acht teilen 60 Prozent des Weltkaffeemarktes unter sich auf; drei kontrollieren mehr als 80 Prozent des Kakaohandels und ebenfalls drei 71 Prozent des Bananenhandels.« 141
    Dieselben oligarchischen Marktpotentaten bestimmen im Wesentlichen auch über Transport, Versicherung und Vertrieb der Nahrungserzeugnisse. An den Börsen für Agrarrohstoffe setzen ihre Trader die Preise für die wichtigsten Nahrungsmittel fest.
    Dazu Doan Bui: »Von Saatgut bis Dünger, von Lagerung über Verarbeitung bis Vertrieb … machen sie das Gesetz für Millionen Bauern

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