Wir lassen sie verhungern
vernehmlichen Stimme sagte er zu mir: »Ich habe all die alten Probleme wiedergefunden, nur um das Zehnfache verschlimmert.«
Francisco Julião war noch am Morgen des Staatsstreichs in den Untergrund gegangen. Nach seiner Denunziation wurde er in Petrolina, an der Grenze der Bundesstaaten Pernambuco und Bahia, verhaftet und brutal gefoltert, überlebte aber und wurde freigelassen. Er starb im mexikanischen Exil. 131
Von 1964 bis 1985 ruinierte diese barbarische, zynische und korrupte Militärdiktatur das Land. Eine Abfolge von Generälen und Marschällen, einer blutrünstiger und stumpfsinniger als der andere, herrschte über dieses prachtvolle und rebellische Volk.
In den Hangars des Luftwaffenstützpunktes Santos-Dumont, im Stadtzentrum von Rio de Janeiro, gingen die Folterknechte des Luftwaffengeheimdienstes ihrem Gewerbe nach. Die Geheimdienstleute der Marine quälten die Studenten, Professoren und Gewerkschafter – Männer und Frauen –, die man in das Kellergeschoss des Generalstabs der Marine verschleppt hatte, ein riesiges weißes Gebäude, acht Stockwerke hoch und nur einige Hundert Meter von der Praça Quince (»Platz 15«) und der Universität Cândido Mendes entfernt.
Nacht für Nacht durchkämmten Militärkommandos in Zivil, Listen der Verdächtigen in der Hand, die Stadtviertel Flamengo, Botafogo und Copacabana ebenso wie die endlosen Elendsviertel der Zona Norte mit ihren Arbeitersiedlungen und den unzähligen Pfahlhütten der Favelas.
Doch vom Mündungsgebiet des Amazonas bis zur uruguayischen Grenze war der Widerstand aktiv.
Die Bauernligen, Landarbeiter- und Industriegewerkschaften, die Parteien und Bewegungen der Linken wurden von den Geheimdiensten und Kommandos der Diktatur zerschlagen. So wurde der Untergrundkampf nur noch von einigen bewaffneten Widerstandsgruppen fortgeführt, die in den ländlichen Gebieten operierten – etwa der VAR-Palmarès, zu der auch die gegenwärtige brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff gehörte. Dilma Rousseff wurde verhaftet und wochenlang von den Schergen der Abteilung für politische und soziale Ordnung (DOPS – Departamento de Orden Político y Social) gefoltert. Sie gab keinen ihrer Genossen preis.
VAR-Palmarès steht für Vanguardia armada revolucionaria-Palmarès (Bewaffnete Revolutionäre Avantgarde-Palmarès). Palmarès war im 18. Jahrhundert der Name eines Quilombo – einer Republik aufständischer Sklaven – im Bundesstaat Espiritu Santo.
Vierzehn Länder boten Josué de Castro Asyl an. Seine Wahl fiel auf Frankreich.
In Paris wurde er Mitbegründer der Modelluniversität Vincennes, heute Universität Paris-VIII in Saint-Denis. Dort lehrte er seit Semesterbeginn 1969.
Deshalb schränkte er jedoch seine internationale Tätigkeit nicht ein. Trotz des Protestes der in Brasilien wütenden Generäle boten ihm die Vereinten Nationen auch weiterhin ein Forum.
1972 hielt Castro die Eröffnungsrede der ersten Weltumweltkonferenz (Konferenz der Vereinten Nationen über die menschliche Umwelt) in Stockholm. Seine Thesen über den familiären, ausschließlich den Bedürfnissen der Bevölkerung dienenden Nahrungsmittelanbau wirkten sich nachhaltig auf die Abschlussresolution und den Aktionsplan dieser allerersten UN-Tagung über Umweltfragen aus.
Josué de Castro starb am Morgen des 24. September 1973 mit 65 Jahren in seiner Pariser Wohnung an einem Herzstillstand.
Die Trauerfeier fand in der Kirche La Madeleine in Paris statt. Nach schwierigen Verhandlungen hatten die Kinder die Erlaubnis erhalten, ihren Vater in brasilianischer Erde zu bestatten. Als das Flugzeug mit seinem Sarg auf dem Flugplatz Guararapes in Recife landete, erwartete ihn dort eine riesige Menschenmenge.
Doch niemand durfte sich dem Sarg nähern. Die unmittelbare Umgebung war durch Tausende von Bereitschaftspolizisten, Fallschirmjäger und Soldaten abgeriegelt.
Der Verstorbene war noch immer so lebendig im Herzen der Brasilianer, dass die Diktatoren seinen Sarg fürchteten wie die Pest.
Heute liegt Josué de Castro auf dem Friedhof São João Batista in Rio de Janeiro.
André Breton schreibt: »Alles läßt uns glauben, daß es einen bestimmten geistigen Standort gibt, von dem aus Leben und Tod, Reales und Imaginäres, Vergangenes und Zukünftiges, Mitteilbares und Nicht-Mitteilbares, Oben und Unten nicht mehr als widersprüchlich empfunden werden.« 132
Josué de Castros Leben bestätigt diese Hypothese.
Er war geborener, aber nicht praktizierender Katholik, trotzdem
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